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Die Ratten fliehen, doch das Schiff sinkt nicht. Kommentar zu Tom Warren’s Abschied von Windows Phone.

 

Ich weiß nicht, ob ihr es mitbekommen habt – das heißt, ob die Schockwellen schon bis nach Deutschland übergeschwappt sind, aber in der amerikanischen WP-Community gab es in den vergangenen Tagen einige mittelschwere Erdbeben.

Mehrere prominente Vertreter/Beobachter der Windows-Szene haben öffentlich ihre Abkehr von Windows Phone angekündigt. Darunter insbesondere Ed Bott von ZDNet (Why have I given up on Windows Phone? Blame Verizon”) und Tom Warren von The Verge (“I’ve given Up on Windows Phone“).

Eine Massenflucht also? Nicht wirklich. Denn erstens handelt es sich hier nur um (prominente) Einzelfälle. Und zweitens haben diese zwei Beispiele meiner Meinung nach wenig miteinander zu tun.

Ed Bott macht für seine Abschied von WP explizit nicht Microsoft oder die Plattform selbst verantwortlich, sondern seinen Netzbetreiber Verizon, der Windows Phone schändlich vernachlässigt. Dass Ed, wie Millionen anderer Verizon Kunden, noch immer auf das Cyan(!) Update für das Lumia Icon (das amerikanische Pendent zum Lumia 930) wartet, spricht tatsächlich Bände. Wie er erklärt, ist ein Provider-Wechsel für ihn keine Option, weil an seinem Wohnort schlicht kein anderes Netz verfügbar ist. Tatsächlich haben im Flächenland USA einige Netzanbieter stellenweise ein quasi-Monopol.

Ed Botts öffentliches Statement hat also einen Sinn: es macht auf einen Missstand aufmerksam, der mittlerweile untragbar geworden ist, der sich aber durch mehr Aufmerksamkeit und mehr öffentlichen Druck auf den Übeltäter (Verizon) prinzipiell leicht beheben ließe.

Und eben hier sehe ich den Unterschied zu Tom Warren und der Art und Weise wie er seinen Abschied von WP zelebriert. Denn Tom, der schon seit Wochen auf Twitter mit seinem tollen neuen iPhone 6 kokettiert, hat eigentlich überhaupt nichts Originelles oder Interessantes mitzuteilen, um seinen Wechsel zu begründen:

Für iOS gibt es mehr und bessere Apps. Oh, really, Tom?! Ist ja ganz was Neues.

Microsoft konzentriert sich auf den low-end Bereich und hat angeblich keine attraktiven flagship-phones mehr im Angebot. Ok, wir alle hätten dieses Jahr gerne das Lumia “McLaren” gesehen. Aber bietet das iPhone 6, objektiv betrachtet, wirklich soviel bessere und hochwertigere Hardware als das Lumia 830 oder das Lumia 930?

Ich habe eine Weile darüber nachgedacht, was denn nun die Implikation oder die Moral von diesem öffentlichen Bekenntnis sein soll. Was sagt es aus, dass Windows-Guru Tom Warren höchstpersönlich jetzt ein iPhone 6 nutzt? Was können wir daraus lernen? Was kann Microsoft daraus lernen? Ich bin zum Schluss gekommen: überhaupt nichts.

Um eines klarzustellen: Tom hat sich seinen heutigen Status verdient. Dass er gut 1000 Worte über seine persönliche Kaufentscheidung schreiben kann und damit derartige Wellen schlägt, das hat er sich durch jahrelange Verdienste als eloquenter und kompetenter Beobachter des Microsoft-Kosmos erarbeitet. Aber das bedeutet nicht, dass Tom’s persönliche Kaufentscheidung irgendeine relevante Message für die Windows (Phone) Community in sich tragen muss – auch wenn er selbst offenbar davon überzeugt ist.

Ob diese Entscheidung auch etwas damit zu tun hat, dass Tom Warren für ein Outlet arbeitet, das als sehr Apple-nah gilt und das iPhone 6 schon seit seinem Erscheinen als “das beste Smartphone der Welt” feiert? Klar, dass solche Unterstellungen aufkommen, aber es ist müßig darüber zu spekulieren. Es bringt auch nichts, Tom mangelnde Loyalität vorzuwerfen, denn zu Loyalität gegenüber Windows oder Windows Phone ist er nicht verpflichtet.

Tom’s öffentliches Bekenntnis pro iPhone und contra Windows Phone hat mich auch gar nicht wütend gemacht, sondern eher intellektuell enttäuscht. Wenn der Papst zum Protestantismus konvertiert, dann erwartet man dahinter zumindest irgendwelche umwälzenden und tiefschürfenden Einsichten  – und nicht die gleichen Thesen, die schon Luther an die Tür genagelt hat. Zumindest erwartet man etwas besseres als: “die Instagram App kann keine Videos aufnehmen.”

Niemand bezweifelt, dass iOS das mit Abstand beste App-Ökosystem besitzt, während Windows noch großen Aufholbedarf hat. Und niemand, der kein hoffnungsloser Hater ist, bezweifelt, dass das iPhone 6 ein sehr gutes Smartphone ist. Es gibt viele gute Gründe ein iPhone 6 zu nutzen. Und es gibt nach wie vor gute Gründe ein Windows Phone zu nutzen.

Fakt ist für mich aber auch: das App-Angebot von Windows Phone ist derzeit besser als jemals zuvor. Und der Innovationsvorsprung von Apple ist derzeit kleiner als jemals zuvor. Dass Tom Warren gerade jetzt seinen Abschied von Windows Phone verkündet, reflektiert deshalb allein eine individuelle Entscheidung und sagt herzlich wenig über die Verfassung der Plattform aus.

Die Ratten fliehen. Aber das bedeutet nicht, dass das Schiff tatsächlich am sinken ist.

 

Bildquelle: Screenshot, TheVerge.com

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  • Naja wenn du von Ratten sprichst zeigt für mich, dass du auch ein wenig zu sehr Fanboy bist und auch wenn du dich bemüht hast das ganze "objektiv" zu schreiben hab ich doch das Gefühl, als ob du das ein wenig zu ernst nimmst.

    Ich selber bin von WP kürzlich zu Android gewechselt nicht wegen der Apps sondern wegen der Moto 360. Ich vermisse mein 1020 schmerzlich (nur die Kamera) aber die Apps sind um so viele Welten besser, dass ich es wirklich verstehen kann wenn Tom das sagt. Man neigt als WP User dazu sich einzureden die Apps sind besser als je zuvor und ich kann damit auch alles machen. Aber es ist nicht das gleiche.

    Wenn die Apple Watch kommt werde ich wahrscheinlich zu iOS weiterziehen und wenn Microsoft Windows 10 und WP10 auf den Markt wirft, kann es auch gut passieren das ich zurück zu Microsoft wechsele. Das gute und das ist auch die Stragie von Nadella, egal welches System ich benutze, die Service die ich nutze im Backend sind und bleiben Microsoft.

    Ich denke der Vergleich mit der Religion hinkt ziemlich, da man sein Handy von heute auf morgen wechseln kann wenn man will und übermorgen wieder zurück.

    • Das finde ich nicht. Die Redewendung "die Ratten verlassen das sinkende Schiff" ist zwar eine negative Äußerung, aber unterm Strich ist es halt eine Redewendung und kein "Fanboygehabe". Und sie passt ja auch, oder?

      Ich fand den Artikel gut. Der Passte perfekt zum Kaffee und lies sich sehr gut. Auch wenn mich das Thema nicht sonderlich interessiert, ist es sicher ein gutes Smalltalk-Thema.

      PS: Seine Religion kann man genau wie seine Unterwäsche täglich wechseln. Es gibt keine Pflicht, du schließt doch keinen 2 Jahres-Vertrag ab oder dergleichen. ^^

    • Hi Mark,
      der Titel ist eine Anspielung auf das Sprichwort "Die Ratten verlassen das sinkende Schiff". Es liegt mir fern, jemanden in abwertender Weise als "Ratte" zu beschimpfen.

      Bei deinen anderen Punkten, gebe ich dir im Prinzip Recht.

      • Na gut, wenn das nicht als Beschimpfung gemeint war, dann ist ja alles klar :) Hatte mich schon gewundert.

  • Na ja, wen interessiert das, was er für ein Tolles Smartphone hält. Wie der Autor hier bereits mitgeteilt hat, hat Apple ein Top Ökosystem, bei dem man übrigens wesentlich mehr Geld ausgeben muss um das gleiche zu bekommen wie auf anderen Plattformen. Und wenn er meint das er 600€ für ein Smartphone mit 1GB Ram, einem nicht mehr ganz aktuellem LTE Modul der Kategorie 5 usw.. hinblättern muss, dann tut er mir einfach nur leid. Dann wird er halt vom User zur Cash Cow, Glückwunsch Tom! Schon wieder jemand auf Apples Brainwashing Marketing reingefallen.

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veröffentlicht von
Königsstein

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