Es war DAS Gesprächsthema des Wochenendes: Jon Bell, ein ehemaliger Interaktions Designer bei Microsoft, stellte sich einem AMA (ask me anything) auf Reddit und argumentiere ausführlich und leidenschaftlich, warum das von vielen verhasste Hamburger-Menü oft die optimale Lösung ist und warum das Metro UI von Windows Phone den Bedienkonzepten der Konkurrenz in vielerlei Hinsicht unterlegen ist. Sogar ein kurzes Erklärvideo hatte dieser Designer einmal gemacht.
Das Video und das AMA blieben auch auf Reddit Gesprächsthema. In einem anderen Thread meldete sich nun ein User namens rbemrose zu Wort, der behauptet früher einmal als Ingenieur bei Microsoft gearbeitet zu haben. Und dieser EX-Microsoft Ingenieur erklärt das Ganze nun aus einer völlig anderen Perspektive. In plastischen Worten schildert er, wie frustrierend der Entwicklungsprozess bei Microsoft war, wie Visionen in Meetings zerredet werden und die Verantwortlichen ihre Entscheidungen anschließend rationalisieren. In der Theorie glaube jeder in der Entwicklungsabteilung die Interessen des Users zu vertreten. Aber in der Praxis sei es gerade der User, der in der entscheidenden Phase nicht mit am Tisch sitzt.
Der komplette Post in deutscher Übersetzung:
Ich war früher einmal ein Windows Ingenieur und ich war in diesen Meetings.
Normalerweise gibt es da einen extrovertierten und charismatischen Programm Manager der ankündigt, dass das Feature Team eine Entscheidung getroffen hat. Normalerweise ist diese Entscheidung ein Kompromiss bezüglich der Funktionalität oder des Zwecks oder der Timeline oder manchmal auch der Existenz dieses Features. Das Feature, so wie es ursprünglich erdacht wurde, sollte schnell, anpassungsfähig, konfigurierbar, intuitiv, selbsterklärend und vor allem nutzerfreundlich sein.
Die Designs werden häufig mit Usern und Industriepartnern getestet, die die Chance bekommen das Feature abzusegnen. Ihr braucht mich gar nicht so anzuschauen. Auf diesem Stand der Produktes war die nächste Windows Version die großartigste Sache, die man sich vorstellen kann, das könnt ihr mir glauben. Im Laufe des Veröffentlichungsprozesses wird das durch einen konstanten Strom von Entscheidungen heruntergeschnibbelt bis das, was veröffentlicht wird, nichts mehr mit dem zu tun hat, was man sich anfangs vorgestellt hatte.Die Sache ist, dass in dem Zusammenhang und zu der Zeit, die Entscheidung überhaupt nicht schlecht aussieht. Die Entscheidung ist das Ergebnis eines vorsichtigen Konsens zwischen dem PM (Projekt oder Programm Manager), dem Entwickler und dem Tester. Die Ingenieure haben Stunden in Meetings verbracht um ihre Optionen abzuwägen, die Vor- und Nachteile einzuschätzen, die wahrscheinlichen Folgen auszumalen und am Ende die beste und mehreren konkurrierenden Möglichkeiten zu wählen. (Vielleicht wurde die Entscheidung auch vom oberen Management runtergereicht; das läuft am Ende auf das gleiche hinaus.) Der Prozess ist narrensicher und gründlich und garantiert das man zum bestmöglichen Resultat für alle im Raum versammelten Parteien gelangt.
Das Problem ist, wer nicht in diesem Raum ist. In diesem Stadium, häufig während der vierten Woche einer sechswöchigen Deadline, gibt es keine Zeit mehr zurückzugehen und den User zu befragen. In der Theorie, ist fast jeder in der Entwicklungsabteilung von Microsoft ein Anwalt des Users. PMs versuchen während der Planungsphase in die Köpfe der User einzudringen, damit das Feature jedes ihrer Bedürfnisse vorausahnen kann. Tester sind die ersten die die Qual des Benutzers spüren, wenn es das nicht tut. Das Management trifft sich mit Partner, die so etwas ähnliches sind wie User, nur mit viel mehr Geld und Einfluss. Devs… Devs scheren sich in Wirklichkeit nicht groß um den User. Aber egal. In der Praxis funktioniert das alles nicht, weil niemand in der Entwicklungsabteilung von Microsoft den user tatsächlich getroffen hat. Stattdessen stützen sie sich auf idealisierte, abstrakte Modelle eines generischen Users der die Attribute hat, die ihm ein besser bezahlter Ingenieur zuweist.
Das Feature Team konsultiert dieses Modell auf einem Ouija Brett und rationalisieren vorsichtig alle Überlegungen, die zu ihrer Entscheidung geführt haben. Aber letztendlich wird diese Entscheidung unter Ingenieurs-Gesichtspunkten gefällt, nicht unter User-Gesichtspunkten, einfach weil der User nicht mit am Tisch sitzt. Es macht zusätzliche Arbeit verschiedene UIs für ein Produkt zu unterhalten. Wir haben nicht genügend Zeit um verschiedene Konfigurationen zu testen. Der andere Typ hat höhere Marktanteile als wird; wenn wir den einfach kopieren, werden wir erfolgreicher sein. Alle diese Punkte sind mehr oder weniger wahr und alle sind gute Gründe um die Entscheidung zu unterstützen. Aber all diese Punkte werden aus der Perspektive von Microsoft gefragt und beantwortet.
Am Tag des Meetings labert der PM also davon, dass die Entscheidung gut für den Benutzer sein wird. Sie bringen irgendwelche Fakten vor, die die Entscheidung unterstützen. Wir möchten den User nicht durch zu viele Entscheidungen verwirren. Nur 3% der Leute haben es auf diese Weise benutzt, also ist es offensichtlich ok das zu streichen. Konsistenz ist gut für Microsoft, also muss sie auch gut für den User sein. Jeder lächelt und nickt und stimmt darin überein, dass es der beste Weg ist. Der neuste im Team, weil es für ihn einfach Sinn macht. Die Veteranen womöglich weil sie wissen, dass es insgeheim doch um die Ingenieure geht und nicht um den Benutzer, aber wahrscheinlich weil Ingenieure einfach faul sind. Das Meeting endet und das Feature hat eine neue Ausrichtung. Es ist ein bisschen weiter weg von der Vision und womöglich eine etwas schlechtere User Experience, aber Software zu Schreiben heißt Kompromisse zu machen. Das war ein guter Kompromiss. Er ist zumindest nicht so schlecht. Es war die beste Option, die zur Verfügung stand. Wenn der User bloß dagewesen wäre, um das zu sehen, würde er das schon verstehen.
Ich war früher Ingenieur bei Microsoft. Als ich das Video gesehen habe, fühlte ich mich plötzlich wieder in ein solches Meeting zurück versetzt.
Nachtreten eines frustrierten Ex-Mitarbeiters? Oder ein entlarvender Einblick in das Innere von Microsoft? Glaubt ihr der Ingenieur hat Recht damit, dass es bei solchen Entscheidungen nicht wirklich um den User geht? Oder hat doch der Interaktions-Designer Jon Bell Recht, der behauptet, dass solche Design-Entscheidungen auf einem Haufen wissenschaftlicher Studien basieren? Diskutiert mit in den Comments und sagt uns eure Meinung!
Quelle: Reddit via WMPU. Bildquelle: godfather.wikia.com. Übersetzung durch den Autor
Ich finde, an beiden Sichtweisen ist was Wahres dran. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es am Verhandlungstisch so vorgeht wie rbemrose schildert. Man muss klar sagen, dass das hier viel weniger die Schuld der Mitarbeiter, als die des Team Manager ist. Alles klingt so überzeugend und schlüssig aus einer Unternehmensperspektive und aus Studien- und Statistiksicht, dass man gar nicht anders kann, als dem zuzustimmen. Auch ich habe mich dabei ertappt, Jon Bell zuzustimmen, obwohl ich nach diesem Post doch wieder ein Liebhaber der guten alten Metro UI bin. Ehrlich gesagt versteh ich auch das Problem von Bell nicht. Es… Weiterlesen »
Xamarin hilft möglicherweise nur beim Portieren des Codes, aber nicht beim Portieren des Designs. Offenbar will MS, dass ein Port binnen 15 Minuten machbar ist (Zeitaufwand von mir frei erfunden). Die User sehen manchmal nicht alle relevanten Dinge im Zusammenhang. Deswegen kann man nicht „auf die User hören“, weil die Mehrheit nur von der Tapete bis zur Wand denkt. Ist aber auch nix ungewöhnliches, weil ich auch keine Ahnung habe, wie man das Getriebe an meinem Auto repariert. Ich arbeite auch mit Statistiken und ich kenne das auch, wenn man die Ergebnisse präsentiert, dass von 20.000 Leuten 95% der Meinung… Weiterlesen »