Microsoft und seine Smartphones – ein Rückblick

Im April 2014 übernahm Microsoft die Gerätesparte von Nokia. Ab dem Moment, als die Tinte auf den Verträgen getrocknet war, wurde der Software-Riese aus Redmond offiziell zum Smartphone Hersteller. Es war eine Zeit großer Verunsicherung für die Windows Phone Community und trotzdem lag eine gewisse Aufbruchstimmung in der Luft.

Der damalige Microsoft Chef Steve Ballmer hatte die Milliardenübernahme gegen massive interne Widerstände durchgesetzt. Er sah darin die einzige Möglichkeit, die kriselnde Windows Phone Plattform zu retten, die mit Nokia ihren einzig verbliebenen, namhaften Hardware-Partner verloren hätte. Aber die Konzentration von Hardware und Software in den Händen Microsofts barg auch neue Chancen. Die Redmonder wirkten noch immer kampfeslustig, der Traum, Windows Phone als dritte Kraft neben Android und iOS zu etablieren, war nach wie vor lebendig.

Seitdem sind knapp über zwei Jahre vergangen. Es war eine stürmische Zeit mit Höhen und Tiefen. An deren Ende lebt das Windows Phone noch (das ist die gute Nachricht), aber Microsoft hat den Kampf um den Consumer-Markt endgültig aufgegeben. Wie ist es dazu gekommen? Was ist in all der Zeit passiert? Ich möchte die Geschichte mit Blick auf die wahren Protagonisten erzählen: die Lumias. Ein persönlicher, nostalgischer, kritischer Rückblick (garniert mit unseren Review-Videos). Zwei Jahre Microsoft als Smartphone Hersteller.

Die besten Lumias aller Zeiten

Im Jahr der Nokia Übernahme, hatten wir das wohl beste Lumia Line-Up aller Zeiten. Mit den Lumias 630, 730, 830, 930 und den damals noch aktuellen Lumias 1020 und 1520 hatte Microsoft ein Smartphone Portfolio übernommen, das in jeder Kategorie hervorragend aufgestellt war. Das Lumia 930, als europäische Adaption des Icon eigentlich eine Notlösung, war das wohl schönste Smartphone des Jahres, das Lumia 630 eine wahre kleine Perle im Einsteigerbereich. Das Lumia 1020 war das nonplusultra der Smartphone-Kameras und das 1520 konnte auch ein Jahr später noch neben einem iPhone 6 Plus bestehen. Lediglich das kümmerliche 530 fiel in jener Generation ab, aber selbst der klobige Lumia Zwerg fand dank aggressiver Kampfpreise seine zufriedenen Käufer.

Bei den später releasten Mittelklasse Smartphones fiel vor allem auf, dass sie im Vergleich zu den früheren „Lumia Panzern“ sehr viel schlanker und luftiger waren. Die Kunst bestand freilich darin, die Lumias auf Diät zu setzen, ohne allzu viel an Robustheit und Wertigkeit einbüßen. Das gelang beim Lumia 830 erstaunlich gut und beim 730 sogar noch besser. Es ist in jener Zeit besonders schwer auseinanderzuhalten, wo das Nokia Erbe aufhörte und der Microsoft Einfluss begann. Aber falls Lumia 730 und 830 schon die Handschrift der Redmonder trugen, durfte man für die Zukunft durchaus optimistisch sein.

Trotz der guten Aufstellung wurden auch in dieser Zeit einige Fehler gemacht, die hauptsächlich auf das Konto von Microsoft gehen. Der Release des Lumia 930 war das reinste Chaos. Das „bezahlbare Flaggschiff“ Lumia 830 kam zu teuer auf den Markt. Und dann war da natürlich noch die unendliche Geschichte mit dem Denim Update / Refresh, die ich jetzt nicht mehr im Detail aufrollen möchte…

Unterm Strich wurden die Verkaufszahlen der Qualität dieser Lumia-Generation nie gerecht. Mit dem Lumia 630 gab es aber zumindest eine Erfolgsstory, die zeigt, was auch mit einem Windows Phone möglich war, wenn das Preis-Leistungsverhältnis stimmte und Microsoft bereit war, die nötigen Millionen für Marketing in die Hand zu nehmen.

Stolperstart: Das erste Microsoft Lumia

Anfang 2015 kam die historische Zäsur. Mit dem Lumia 535 löste erstmals der Microsoft-Schriftzug das bisherige Nokia Branding ab. Im Rückblick war das Lumia 535 aber auch ein erstes Alarmsignal, dass dem Software-Riesen womöglich das Verständnis und die Liebe für das Produkt Smartphone fehlt, das den Traditionshersteller Nokia immer ausgezeichnet hatte.

Das Lumia 535 ist das, was dabei rauskommt, wenn man ein Budget-Phone nach Spec-Sheet designed. Auf dem Papier hatte das Einsteigergerät alles, was man sich in der Preisklasse wünschen konnte: 5 Zoll Display, 1 GB RAM, 5 MP Frontkamera, LED-Blitz und das alles für 119 Euro. Doch ein blasses Display, ein schmalbrüstiger Snapdragon 200 Prozessor und peinliche Qualitätsprobleme beim Touchscreen sorgten letzten Endes für eine sehr durchwachsene Userexperience.

Ich habe es schon in meiner damaligen Review gesagt und ich sage es gerne nochmal: das Lumia 630 ist unterm Strich das deutlich bessere Smartphone. Klar konnte man über die fehlende Frontkamera meckern oder die 512 MB RAM. Aber die Nokia-Ingenieure hatten Mut zur Lücke bewiesen und das 630 dafür mit Clearblack Display und potenter Snapdragon 400 CPU auf eine Weise aufgewertet, die das kleine Budget-Phone zu mehr machten, als die Summe seiner Teile. Das Lumia 535 wirkte daneben teilweise wie das genaue Gegenteil.

Low-End Flut und Flaggschiff-Flaute

Spätestens mit dem Lumia 535 begann auch die low-end Flut. Da befanden wir uns bereits in der Flaggschiff-Flaute. Das sagenumwobene Lumia „McLaren“ wurde recht früh von den Microsoft Bossen abgesägt. Es wäre wohl eine Art Aluversion des 1020 geworden, mit einem innovativen, aber unausgereiften 3D Touch Feature.

Dass Microsoft vom geplanten Flaggschiff nicht überzeugt war: verständlich. Doch offenbar hatte man im Premium-Bereich nichts anderes mehr in der Hinterhand. Stattdessen begann Microsoft sich auf jenes Marktsegment zu konzentrieren, in dem Windows Phone bis dato am erfolgreichsten war und haute mit dem Lumias 535, 435, 532 und 540 so viele Budget-Phones auf den Markt, dass Kunden und Journalisten gleichermaßen den Überblick verloren.

Über die Qualität der Geräte, die nach dem 535 kamen, lässt sich dabei gar nichts Schlechtes sagen. Die Ähnlichkeit der Lumias 435 und 532 zur alten Nokia X Reihe deutet darauf hin, dass die entsprechenden Designs schon eine Weile in der Schublade lagen, was den Phones aber keineswegs zum Nachteil gereichte. Die Optik passte, das Preis-Leistungsverhältnis auch. Vermutlich wusste Microsoft aber irgendwann selbst nicht mehr, welches Einsteigergerät sie nun pushen sollen, sodass letztendlich keines von ihnen einen bleibenden Eindruck hinterlassen sollte.

Microsoft Lumia 640: geht doch

Im März 2015 kam die Vorstellung des Lumia 640 und 640 XL auf dem Mobile Word Congress in Barcelona. Von den heißersehnten Flaggschiffen war noch immer weit und breit nichts zu sehen, und doch ließ einen die Vorstellung der Mittelklasse Smartphones überraschend zufrieden zurück. Zum ersten Mal nach langer Zeit schien Microsoft wieder alles richtig zu machen. Design und Ausstattung waren überzeugend. Die Preisgestaltung aggressiv. Ein gelungenes GDR2 Update überbrückte die Wartezeit bis zum Windows 10 Update. Und die neuen Windows Phones mit Office 365 zu bundlen war eine Idee der Kategorie „warum sind die nicht früher drauf gekommen„. Zudem waren es vermeintliche Kleinigkeiten, die auch das Fan-Herz höher schlagen ließen: der (wenn auch abgespeckte) Glance Screen, die Lumia Kamera 5, die erstmals unterhalb der PureView Klasse verfügbar war.

Selbst das sonst so konfuse Branding hatte plötzlich eine klare Struktur: Es gab das normale 640 und die XL Version und beide jeweils mit 3G oder 4G, Dual-SIM oder Single-SIM. Natürlich musste Microsoft das mal wieder ruinieren, indem sie nicht alle Varianten von Anfang an in Deutschland auf den Markt brachten, aber davon abgesehen, hatte sich auch das Marketing beim Lumia 640 Release gute Noten verdient.

Alles in allem ist das Lumia 640 – zusammen mit der XL Version – für mich bis heute das gelungenste Smartphone, das jemals unter der Microsoft Marke herausgekommen ist. Und für kurze Zeit konnte man hoffen, dass die Redmonder tatsächlich ihre Nische im mobile Geschäft gefunden hatten: vernünftige, zuverlässige Smartphones, die gleichermaßen schick für den Alltag und ready for Business sind.

Boom, Zisch – Lumia 950 und die Folgen

Dann geschah lange Zeit: Nichts. Microsoft hatte zwar einige neue Phones in der Schublade, doch die warteten, wie alle Welt, auf Windows 10 Mobile. Und Windows 10 Mobile ließ sich Zeit. Anderthalb Jahre Flaggschiff-Flaute, monatelang vertröstet werden auf das neue OS – man muss sich diese ganze Vorgeschichte nochmals vor Augen führen, um zu verstehen, wie groß der Hunger der Windows Phone Community nach einem richtigen Premium Gerät war. Und dann kam das Lumia 950.

Versteht mich nicht falsch, das Lumia 950 und der große Bruder 950 XL waren alles andere als schlecht. Die Hardware-Ausstattung war top of the line, das Continuum Feature eine echte Innovation. Aber die Mischung aus biederem Design, schlampiger Verarbeitung und unfertiger Software ließ kein echtes Premium-Feeling aufkommen und machte die heißersehnten Flaggschiffe, alles in allem, zu einer Enttäuschung.

Dabei erfüllten Lumia 950 und Lumia 950 XL durchaus ihren Zweck als Vorzeigegeräte für Windows 10 Mobile und die neuen Features wie Continuum und Windows Hello. Aber ähnlich wie einstmals beim Lumia 535 fehlte die Liebe zum Detail, das Auge für den User, um aus einem überzeugendem Datenblatt ein begeisterndes Gesamtprodukt zu machen. Schon Kleinigkeiten wie die On-Screen Tasten – bis dahin ein Merkmal des Windows Phone Proletariats – und das fehlende Double-Tap-to-Wake zeigten, dass Microsoft auch nicht wirklich die Lumia Fans im Blick hatte (oder sie nie richtig verstanden hat).

Mittlerweile – über ein halbes Jahr später – haben sich die Preise deutlich nach unten korrigiert, Windows 10 Mobile spürbar stabilisiert. Vermutlich ist das Lumia 950 heute so attraktiv wie nie zuvor. Aber, wie sagt man so schön: es gibt keine zweite Chance für einen ersten Eindruck. Unterm Strich war das Lumia 950 ein Flop, zu einem Zeitpunkt, als Windows Mobile dringend einen Hit gebraucht hätte. Die Microsoft Bosse sahen das, dem Vernehmen nach, ähnlich: der zuständige Stephen Elop verlor seinen Job. 

Im Schatten des Lumia 950 kam noch das kleine Lumia 550, das angeblich erst gecancelt und dann wieder un-cancelt wurde. Auch das neue Budget-Phone erfüllte seinen Zweck als günstiger Einstieg in die Windows 10 Mobile Plattform, kam aber weder an den Charme, noch an die kompromisslose Performance seiner besseren Windows Phone Vorgänger heran.

Die große Depression

Das uninspirierte Hardware Line-Up passte leider nur allzu gut zur erkennbaren Unlust, mit der Microsoft zunehmend im Smartphone Geschäft agierte. Zum verspäteten und halbgaren Release von Windows 10 Mobile. Zum Einstampfen vieler ehemaliger Exklusiv-Apps. Zur Planlosigkeit, mit der schon entwickelte Geräte gestrichen und dann teilweise wieder hervorgekramt wurden.

Die Windows Phone Fans hatten sich zum Start von Windows 10 einen großen Knall erhofft. Es folgte eher ein leises *Zisch*, wie bei einem Ballon, aus dem man langsam die Luft rauslässt. Die Community wollte so gerne daran glauben, dass das Windows Phone mit Windows 10 nochmal richtig durchstartet, aber Microsoft, insbesondere ihr CEO Satya Nadella, glaubte selbst nicht mehr daran. Noch vor Release der ersten Windows 10 Mobile Geräte kündigten die Redmonder Milliarden-Abschreibungen und weitere Stellenkürzungen im Smartphone Geschäft an. Da ging schon überall die Meldung vom „Tod“ des Windows Phones durch die Presse. Die neuen Geräte hatten, bei allen Schwächen, auch nie eine faire Chance, sich gegen diese Störgeräusche durchzusetzen.

Das Lumia 650 ist der jüngste Spross der Lumia-Familie und ein Gerät, aus dem man nicht richtig schlau wird. Die durchaus edle Optik (nicht sonderlich originell, aber stimmig, im iPhone 4 Stil) wirkt ein bisschen wie Wiedergutmachung für die als „Plastikbomber“ verschrienen Flaggschiffe; die spartanische Ausstattung riecht aber eher nach Low-End als veritabler Mittelklasse. Ein wenig bereitet mir das Lumia 650 auch Sorgen, dass es Microsoft vielleicht noch immer nicht geschnallt hat. Ja, das Gerät ist beeindruckend dünn und leicht, aber „dünn und leicht“ ist kein Selbstzweck, wenn das Phone wie eine Messerklinge in der Hand liegt und sich die Rückschale mit minimaler Krafteinwirkung eindrücken lässt. Die Balance zwischen leicht und wertig, dünn und ergonomisch, die beim Lumia 730 und 830 noch so gut gelungen war, scheint mir hier absolut nicht zu stimmen.

Und trotzdem hätte das als „Business-Phone“ angekündigte Mittelklasse-Gerät auch auf dem Consumer-Markt deutlich mehr Potential gehabt, wenn es Microsoft nicht weitestgehend unbemerkt von der Außenwelt released hätte. Ein Windows Phone verkauft sich nicht, wenn man es nicht verkauft. Zumindest diese Lehre hätte Microsoft aus den letzten zwei Jahren ziehen können.

Kann Microsoft Smartphone?

Also kann Microsoft Smartphone? Die Geschichte gibt darauf keine eindeutige, aber das muss sie auch nicht. Denn die Smartphone-Entwicklung wurde komplett umstrukturiert, die Hoffnung liegt jetzt beim Surface Team und dem charismatischen Hardware Wizard Panos Panay. Vieles spricht dafür, dass auch der Markenname „Lumia“ intern längst begraben wurde. Somit steht – mal wieder – alles auf Neuanfang.

Bei der ersten großen Restrukturierung im Sommer 2015 hatte Satya Nadella noch angekündigt, dass sich Microsoft auf drei Segmente konzentrieren möchte: Premium, Budget und Business. Ein knappes Jahr später ist von diesen drei Säulen im Wesentlichen nur noch eine übrig geblieben: Business. Der Fokus der Windows Phones soll ab sofort auf Sicherheit und Produktivität liegen. Das sind keine Schlagworte, die für den Privatkunden allzu sexy klingen. Trotzdem hofft die Community darauf, dass dabei Features und Geräte herauskommen, die auch Consumer begeistern können – so wie es mit Continuum für Phones bereits gelungen ist.

Viele Fans sind jedenfalls bereit, Microsoft noch eine Chance zu geben. Die Erwartungen an das sagenumwobene „Surface Phone“ sind gewaltig, das Enttäuschungspotential entsprechend hoch. Bei aller Hoffnung darf man nicht vergessen, dass auch das Surface Pro drei Generationen brauchte, um vom interessanten Konzept zum gefeierten Premium-Produkt zu reifen. Aber den Spielraum für Experimente hat Microsoft im Smartphone-Bereich längst aufgebraucht. Die nächste Chance könnte die Letzte sein.

Dies ist ein Meinungsbeitrag. Die Meinung des Autors spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung von WindowsUnited oder anderer Mitarbeiter wider.