Schließt mal für einen Augenblick die Augen und stellt euch vor ihr seid ein fähiger App Entwickler. Unendlich viele Möglichkeiten und unermesslicher Ruhm und Reichtum warten auf euch – oder aber, ihr programmiert für Windows Phone! Zählen wir Desktop und mobiles OS zusammen, benutzen etwa 14% der User weltweit, Windows. Der mobile Anteil befindet sich seit Jahren bereits auf einem Plateau von 3%. In der Realität entscheidet sich ein ambitionierter Developer also zunächst für iOS. Falls er seine Gratis App mit nützlichen Bezahlfeatures bestücken kann, launcht er sie anschließend auf Android. Ist ihm langweilig, hat er schon viel Geld verdient oder ist seine App trendbedingt nicht mehr angesagt, kommt eine schlechte Portierung für Windows Phone.
Mit Windows 10 soll alles anders, besser werden, verspricht Microsoft – das glaube ich nicht – zumindest nicht so wie der Softwareriese es uns glauben lassen möchte. Ich werde versuchen diese Behauptung anhand einer Aufstellung der Problematiken und Microsofts Lösungsansätzen, zu erläutern.
One Windows
Windows 8 ist in einen Krieg hineingeboren worden und das merkt man dem Betriebssystem auch an. Hastig versuchte Microsoft auf den Touchscreen Trend zu reagieren, den man solange vernachlässigt hatte. Man schuf ein inhomogenes OS, dass sich von der Usability an vielen Stellen wie eine Beta Version anfühlte. Windows RT, wenngleich ein schönes Konzept, teilte die inkonsequente Benutzerführung und stiftete durch seine eingeschränkten Funktionen noch mehr Verwirrung.
Windows Fans, langjährige Windows Phone Benutzer und Techies allgemein, vergessen manchmal wie steil die Lernkurve für den Ottonormal Benutzer schon bei kleinen Veränderungen ist. Der Großteil der Bevölkerung möchte das ein Gerät funktioniert, ohne das man viel daran „rumschrauben“ oder sich auf Youtube ein Windowsunited Tutorial anschauen muss. Das ist sein gutes Recht, wie ich finde. Microsoft aber, warf ohne Vorwarnung ein neues Design auf dem Markt – mit völlig veränderter Bedienung und undurchdachtem Marketing.
Das ultimative Symbol des Scheiterns bleibt für mich der Startknopf. Sein Fehlen ist in vielerlei Hinsicht die Essenz aus den Fehlern der Redmonder. In Retrospektive wirkt der Startknopf steinzeitlich. Selbst zu Windows 7 Zeiten habe ich ihn selten benutzt. Für meine Bedürfnisse war die Taskbar nützlicher und flexibler. Aber als er dann weg war, vermisste ich ihn. Das war nichts rationales. Ich begriff, dass der Startknopf ein „Zuhause“ dargestellt hatte, in das ich immer zurückkehren konnte. Meine Techie Synapsen sprangen natürlich kurze Zeit später an, verbannten die Gefühlsduselei in eine dunkle Ecke und öffneten meinen Blick für alle Vorzüge die Windows 8 gegenüber seinen Vorgängern besaß. Aber viele User, fühlten sich zurecht verloren.
Windows 10 hat den Startknopf zurückgebracht und besinnt sich bei der Desktopbedienung wieder zurück auf Windows 7 . Ironischerweise werden diese beiden „Rückschritte“, die relevantesten Punkte für einen Erfolg auf dem Massenmarkt sein. All die anderen Features der „One Windows“ Vision, sind entweder nette Zugaben für uns Enthusiasten oder unterstützen einen anderen Zweck. Zum Beispiel Apps.
Universal Apps
Hier liegt meiner Meinung nach Microsofts größtes Problem und schwächster Lösungsvorschlag. Auf dem Papier ist die Vorstellung von „Universal Apps“ natürlich unglaublich stark. Ein Developer programmiert seine App nur 1 mal und macht sie dadurch allen Windows Formfaktoren zugänglich. Durch Benutzung von Apps in der Desktopumgebung, möchten die Redmonder ihren größten Markt anzapfen. Apps(also das was man mittlerweile unter dem Begriff versteht) sind aber von Natur aus für die mobile Anwendung geschaffent. Es macht wenig Sinn eine App ohne Touchscreen zu bedienen (Apple’s Mac OS Store ist winzig im Vergleich zu iOS). Auf dem Desktop benutze ich Maus und Tastatur. Ich kann aus Milliarden von x86 Programmen wählen und haben einen Browser. Tatsächlich besteht der Markt aus Entwicklersicht also nur aus 2 in 1 Hybrid-, Tablet- und Smartphoneusern – und der ist deutlich kleiner als 1.5 Milliarden Menschen.
Das Konzept ist außerdem nicht neu. Auch unter Windows 8 konnte man bereits eine universelle App für x86 und Phone programmieren. Die Entwicklerflut blieb bislang aus.
Philosophie
“We want to move from people needing Windows to people choosing Windows, to loving Windows. That is our bold goal with Windows.” – Satya Nadella
Wenn die vorherigen Leiden körperlicher(technischer) Natur waren, beschreibt Nadellas Statement Microsofts psychisches Krankheitsbild.
Ein solcher Paradigmenwechsel ist sehr ambitioniert. Als Beispiel dafür können wir McDonalds anführen, das Ende der 90er so etwas durchgemacht hat. Was für die meisten von uns wie ein neuer Anstrich und `ne extra Scheibe Salat auf dem Burger ausgesehen hat, war eine langjährige, kostspielige und tiefgreifende Veränderung. Deutsche Bauern lieferten plötzlich das Fleisch und Gemüse, es gab Obsttüten und Fruchtsäfte und auf der Grünen Woche schmusten zufriedene Kühe in ursprünglichen (Echt-) Holzhütten auf herb duftendem Heu. Milliarden an Werbegeldern und Umstrukturierungen waren vonnöten, um das Bild des Fast Food Riesen in den Köpfen der Menschen zu verändern. Und trotzdem asoziiert wohl niemand die goldenen Bögen mit gesunder Ernährung.
Im Gegensatz zu den anderen beiden Techgrößen Apple und Google, war Microsoft nie angesagt. Viele von uns verbinden Windows mit Arbeit und abgesehen von Bloggern, DJs und Artists, liebt niemand seine Arbeit – und die benutzen Apple!
Was die Konkurrenz zudem bevorteilt, ist der einfachere Zugang vom Consumer Markt in den Business Bereich. Möglich gemacht haben dies die Arbeitsbedingungen heutzutage. Zwischen Leben und Job gibt es keine klare Grenze mehr. „Bring your own Device“ (Bring dein eigenes Gerät), ist ein schönes Beispiel dafür. Habe ich also die Wahl, benutze ich das Gerät, das mir auch in meiner Freizeit so glückliche Momente bereitet.
Die Wende kommt trotzdem.
Warum?
Zum Einen ist es Zeit. Windows 8 war,an sich kein schlechtes Betriebssystem, aber eindeutig zu viel, zu schnell. Die Abneigung vieler Benutzer gegenüber der Kacheloptik rührte daher, dass es ungewohnt aussah. Genauso gut hätte man Kreise, Trapeze oder Sprechblasen nehmen können, die Reaktion wäre gleich gewesen. Dieser Schock ist mittlerweile verdaut.
Microsoft’s Argumente für einen Erfolg von Windows 10 sind im Einzelnen und bei genauer Betrachtung nicht durchschlagkräftiger als früher. Die verschiedenen Teile haben sich in der Gesamtsumme aber zu einer neuen Identität verfestigt – und das hat sehr wohl Gewicht. Das Insider Programm begeistert so viele Menschen wie nie zuvor. 2.8 Millionen Menschen arbeiten gemeinsam am neuen Betriebssystem. Da sie daran mitgewirkt haben, werden sie dem Ergebnis gegenüber viel aufgeschlossener sein. Geräte wie das Surface Pro 3, die HoloLens und zuletzt das Lumia 640(XL), ernten von allen Seiten Lob. Wir erleben die Redmonder als empathisch und innovativ.
Der Gesamtauftritt ist viel schlüssiger als das 2012 noch der Fall war.
Zum Abschluss äußere ich eine Hoffnung, für die Microsoft die besten Voraussetzungen besitzt. Eine Nexus Artige Referenz Gerätereihe für jeden Formfaktor mit purer Windows Experience. Kein Superfish, Samsung Optimierungstool oder sonstige Bloatware – gepaart mit einer hochwertigen Produktpalette,
In dieses Gesicht, Mr. Nadella, würde ich mich sofort verlieben.
Der Text ist die persönliche Meinung des Autors und spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung von Windowsunited wider.
Sehr differenzierter Kommentar! Danke, echt gut!
100% ACK.
Ich argumentierge gerne mal Evolutionsbiologischen wenn es um die Verbreitung bestimmter Hard & Software geht; hier müssen Firmen wie Microsoft nur wenig richtig machen, um deutlich besser dazustehen, da sie eine gute Ausgangsbasis haben – große Nutzerzahlen, hohe Funktionalität, ökonomischer Preis, hohe Auswahl (wobei das paradoxerweise eher ein Nachteil ist), etc.
Ein typisches MacBook das nur Jahre hält, ein OSX-Betriebsystem – für dass es nur einige tausend (echte OSX) Apps gibt, Premium Preis, .. mehr als 20-25% Marktanteil ist da nicht drin – wäre da nicht die Sache mit dem Gewinn…
Soll das jetzt heißen, Burger sind nicht gesund? :-/
Nur bei „Hans im Glück“ 😉
Ich sehe es deutlich kritischer. Win10 für mobile Geräte wird IMHO absolut kein Selbstläufer. Vor allem Google ist ein starker Mitbewerberber (um das Wort „Gegner“ zu vermeiden). Windows kann als Marke nur dann in den Köpfen gewinnen, wenn sie a) ein gutes Desktop-OS liefern, dass b) möglichst viele nutzen. Beides werden sie wohl schaffen, denn für die Technik haben sie die Kompetenz und für das „viele“ haben sie das Umstiegsprogramm (im ersten Jahr wird der Umstig für ca. 70% der existierenden Windows-User kostenfrei). Allerdings sind das nur zwei von IMHO vier notwendigen Gegebenheiten. Außerdem müssen c) die „vielen“ auch den… Weiterlesen »
Danke für dein ausführliches Feedback Paul. Unsere Meinungen unterscheiden sich im Grunde gar nicht so sehr voneinander. Für „die Wende“ habe ich keinen zeitlichen Rahmen genannt. Der Kampf wird lange dauern, bis Microsoft mit Windows Phone in die User Herzen dringt. Von Selbstläufer war auch nie die Rede. Die Richtung stimmt auf jeden Fall und MS ist momentan das spannendste Unternehmen der großen 3. Start Button. Keine Vermischung des Desktops und Modern Start. Kostenloses Windows 10. Diese 3 Argumente werden den Großteil der Windows Nutzer überzeugen. Wenn Chip oder Connect schreiben: „Der Startkinopf und Desktop sind wieder da, alles wie… Weiterlesen »
Ich glaube auch, dass wir eigentlich fast komplett übereinstimmen. Ich glaube aber auch, dass die Apps sehr stark für das Wohlwollen der Presse wichtig sind. Und wichtiger: für das Wohlwollen des Verkaufspersonals. Und lokale Apps sind für das Wohlwollen der Käufer und der damit verbundenen Weiterempfehlung an Freunde und Bekannte wichtig. Relevant finde ich auch Anpassbarkeit (damit meine ich NICHT die Grafik) von Automatismen und Optionen … „Alles kann, nix muss.“ Das betrifft aber nicht nur WinPhone – Beispiel: Ich will keine tägliche Mail von meinem Outlook-online-Kalender haben. Kann ich es abstellen? Habe ich nicht gefunden. Wegen den APIs: Ich… Weiterlesen »
Ergänzend dazu: Apple konnte damals mit einem Nichtskönnergerät (das erste iPhone) den Markt aufrollen, weil es keine Konkurrenz im Bereich „fluffige Touchbedinung“ gab. Und was man alles mit so einem Taschending machen kann, hat man damals noch gar nicht antizipiert (obwohl es Geräte gab, die viel mehr konnten). Das ist aber schon lange nicht mehr so, die Welt hat sich weiter gedreht. Heute braucht es Fluffigkeit UND Funktion. Fuffigkeit allein reicht nicht mehr.
Dem Teil mit den Universal Apps kann ich nicht ganz folgen.
Universelle Apps unter Windows 8 und Phone? Wäre mir neu. Eine richtige Universal App ist erst seit 8.1 und auch nur auf Runtime Basis möglich, oder hab ich was verpasst?
Das war von mir auch gemeint. für mich ist win 8.1 kein separates OS, aber es stimmt, es geht erst seit dem refresh auf 8.1.
hast du dafür eine quelle? schau dir mal „flipboard“ im store und phone an. ist universal und auch für x86, nicht nur arm.
Achso^^ Universal Apps muss man aus User-Sicht und aus Developer-Sicht betrachten und unterscheiden. Für den User ist eine App universal, wenn sie für Windows und Windows Phone verfügbar ist und nur einmal gezahlt werden muss. Für den Entwickler ist eine App universal, wenn sich der Code teilen lässt, um so den Entwicklungsaufwand zu minimieren. Und hier muss man auch unterscheiden: – Windows Store Apps (Runtime) seit Windows 8 generell lauffähig auf x86, x64, ARM, seitens des Entwicklers kaum was zu beachten, wird alles im Hintergrund automatisch durch Microsoft erledigt. – Windows Phone 8.1 Apps (Runtime) sind kompatibel zu obigen Apps… Weiterlesen »
Vielen Dank für den ausführlichen und interessanten Kommentar STP!
In der Tat nahm ich an, dass schon mehr vom Code universal ist! Im Grunde ändert das, wie du selbst gesagt hast, nichts an meiner Schlussfolgerung.
Microsoft rechnet natürlich auch damit, dass die „Blendgranate“ bei den Unternehmen zieht. Ein Anlass für den Artikel war es, dem User eine kleine Sonnenbrille zu spendieren 🙂
Auch von mir vielen Dank an STP 🙂
Sehr schöne Diskussion hier 🙂 Der Artikel ist meiner Meinung nach in den meisten punkten sehr treffend.