Keynote bizarr: Wie Microsoft Apple eindrucksvoll die Show gestohlen hat

Das reinwaschende Vorwort:

Eine der wesentlichen Grundprinzipien eines jeden Bloggers sollte sein, nicht überschwänglich ignorant mit Scheuklappen in die Tasten zu hauen, sprich: Schaue stets über den Tellerrand und lebe nicht vollends selbstzufrieden im abgekoppelten Ökosystem deines heißgeliebten Soft- und Hardwareunternehmens.

Für Kommentare wie diesem hier ist ein gewisses Maß wohlwollender Empathie mit Sicherheit als Vorteil anzusehen, denn bevor mich vermeintlich mutwillig getroffene Apple-Jünger gerne verbal (oder auch in schriftlicher Form in den Kommentaren) in der Luft zerreißen möchten: Einfach zwischen den Zeilen das Augenzwinkern nicht vergessen!

…Wie eine Mischung aus Wetten dass und Scientology Kirche…

Als der freundliche grauhaarige Mann „da vorne“ in diesem Studio, welches irgendwie an eine Mischung aus „Wetten dass“ und „Scientology Kirche“ erinnert, nach etwa 83 Minuten mit dem wohl heiß ersehntestem Part der gestrigen Keynote beginnt, nämlich über die beiden „neuen“ Smartphones zu philosophieren, werde ich nach und nach endlich in die Realität zurückgeholt als ich plötzlich einen äußerst bescheidenden Satz auf der Leinwand zu lesen bekomme:

„The only thing that´s changed is everything.“

„Moment“, dachte ich. „Seit wann haut Microsoft denn solche egozentrischen, verbalen Entgleisungen raus? Und wieso steht da vorne plötzlich Niemand mehr von Microsoft sondern…hey…das ist doch Tim Cook, der sympathische Nachfolger von Steve Jobs!“

Aber spulen wir auf Minute 33 zurück und lassen den Film von dort wieder weiterlaufen: Phil Schiller, Marketing Vizepräsident von Apple steht vor einem auf der Leinwand projektierten Microsoft-Logo. Wusste gar nicht, dass der jetzt in Lumias macht. Macht er auch nicht. Sondern er hat etwas zu verkünden. Einen Gast. Einen bedeutenden Gast. Einen Gast, der an diesem Abend in Erinnerung bleiben wird. Es ist Kirk Koenigsbauer, Vizepräsident für Microsoft Office!

„Who knows better about productivity than Microsoft?“ 

…fragt Schiller zuvor das ratlose Publikum als habe er gerade die Saalwette des heutigen Abends verlesen.

Es herrscht Stille im Saal, die erst gebrochen wird als Schiller mit beinahe schon um Verzeihung bittendem Tonfall ein um nach Verständnis ringendes „Yeah“ über die Lippen bringt. Erst jetzt entspannt sich die Lage bei den ungläubigen (oder auch streng gläubigen?) geladenen Gästen, die dies mit Gelächter (?) und Applaus quittieren. Ein schamvoller Applaus, der sich anhört, als wüsste man jetzt nicht ob das nun Folgende den Rest des Abends auf den Kopf stellen wird oder ob man sich vielleicht ganz einfach nur im Saal geirrt hat. Hat man nicht.

„It´s a thrill to be here today“

…beginnt Koenigsbauer seinen Vortrag und er hat Recht: Wie ein kleiner unschuldiger Goldfisch in einem Teich voller gefräßiger Haie steht er da und hält tapfer seinen Vortrag über die Vorzüge cleverer Microsoft-Apps. Mutig hält er durch und wird am Ende weder gefressen, noch wird ihm eines seiner Körperteile abgebissen, von denen das ein oder andere sicherlich schon mit so manchem Microsoft-Produkt in Berührung gekommen sein muss.

Was sich anhört wie aus einem schlechten Film, ist gestern tatsächlich so geschehen: Ein Microsoft Mann hält einen minutenlangen Vortrag während einer Apple Keynote, um einige coole Microsoft-Apps auf dem schon seit Langem mit Spannung erwarteten Surface Pro 4 vorzustellen.

Und schon wieder liege ich daneben: Apple hat gestern natürlich nicht die vierte Generation des Surface Tablets enthüllt, sondern ein neues iPad – sogar Zwei um genau zu sein. Das größere der Beiden heißt tatsächlich iPad Pro und kommt ebenfalls wie das Surface Pro 3 mit einem im 12 Zoll Bereich angesiedeltem Display, einem revolutionären Apple Pencil und sogar einer smarten Tastatur daher. Woher die wohl die Idee dazu hatten? Im Netz hat das Gelächter – besonders über Apples digitalen Kugelschreiber – unlängst begonnen. Warum heißt das Teil eigentlich nicht iPen?

Hätte man eigentlich nur den Microsoft Spokesman im Saal befragen müssen, der kennt sich mit solchen Stiften nämlich aus – ein noch größeres Eigentor hätte Apple sich nicht schießen können.

Seit wann ist Apple in diesem chilligen „Hey wir sind auch total offen“ Modus? Oder hab ich da gestern Abend nur was falsch verstanden? Dass Microsoft schon seit langer Zeit auch auf Apple Produkten zuhause ist, ist bekannt. Dass nun aber auch noch Microsoft höchstpersönlich bei einem derart bedeutendem Ereignis für Apple vorbeischaut, damit hatte ich nicht gerechnet. Es hätte vielleicht nicht viel gefehlt und Tim Cook hätte zusammen mit Sadya Nadella die neuen Lumias lustig im Kreis tanzend aus der Hosentasche gezogen – mit einer Handvoll vorinstallierter Apple-Apps dazu.

Tim Cook hatte am Anfang des Abends von einigen Monster Announcements gesprochen und erst jetzt hatte ich verstanden was er meinte: Microsoft!

Wen kümmert da noch 3D Touch (Windows Phone Fans nennen es schlicht und ergreifend „länger drauf drücken“) und dass es die beiden zu Preisen ab 739 Euro für das iPhone 6s bis hin zu 1069 Euro (!) für die teuerste Variante des iPhone 6s Plus ab Ende September nun auch in zartrosa gibt? Und wer kam eigentlich bei Apple auf die Idee, das Display als Blitz für die Frontkamera zu missbrauchen? Retina-Flash nennt man dies gemäß Marketing-Regelwerk und preist die 5 MP der Frontkamera an, als habe das Microsoft nicht bereits in der unter 100 Euro Klasse schon seit vielen Monaten im Programm.

Übrigens: Siri kann jetzt auch TV. Dass Kinect schon seit langer Zeit auch in deutscher Sprache auf Befehle wie „Suche alle Filme mit Michael Douglas“ fehlerfrei reagiert, ist leider nur Wenigen bekannt. Doch Apple verkauft es dir als habe man Siri gerade erst wieder neu erfunden.

Noch ein Scherz der in Wahrheit keiner ist: Siri reagiert jetzt auch ohne vorherigen Tastendruck auf „Hey Siri“!

Ernster: Apple hat gestern Abend durchaus einige wirklich schöne Produkte abgeliefert, nicht mehr nicht weniger. Kurz habe ich überlegt, wer wen da nun gestern Abend verarscht hat. Hat sich Microsoft nun vollends für Apple prostituiert oder hat Apple auf peinlich eindrucksvolle Art und Weise bewiesen, dass man sich der Konkurrenz nicht mehr verschließen darf? Man hätte ja nicht gleich dem Surface-Tablet ein Denkmal setzen müssen in Form eines schlicht und einfach wirklich dreist zusammengeklöppelten Clones in Gestalt eines iPad Pro.

Fakt ist aber auch: Abkupfern ist Gang und Gebe. Ob bei Apple, Microsoft, Samsung oder auch Google. Eine gute Idee landet irgendwann immer auch woanders. Das ist normal und verständlich. Doch es kommt immer darauf an wie man es dir verkauft. Diesmal hat Apple sich ausverkauft – direkt da vorne auf der tristen schwarzen Bühne.

Nach knapp 140 Minuten war Alles vorbei. Doch ich schmunzel immer noch.

Dies ist ein Meinungsbeitrag. Die Meinung des Autors spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung von WindowsUnited oder anderer Mitarbeiter wieder.