Im unaufhaltbaren Eifer, Gamer so effektiv wie möglich in Angst zu versetzen, kennen die Spielentwickler keine Grenzen mehr. Somit klingt heutzutage die Rede über den Wahnsinn von Vaas Montenegro aus Far Cry 3 naiver denn je. In Outlast rannten wir von Maniacs, in Amnesia von Gespenstern und in Alien: Isolation von dem Xenomorph weg. Das alles hatten wir schon mal.
Gar nicht überraschend dabei ist, dass Resident Evil 7 – das erste Xbox Play Anywhere Spiel von einem Drittentwickler – versucht, die Spieleserie neu zu überdenken. Man kehrt zurück zu den Ursprüngen des Spiele- und Kinohorrors. Das fertige Spiel ist ein interdisziplinäres Produkt. So etwas wie „Texas Chainsaw Massacre“ und „Evil Dead“ zusammengepresst mit einer Priese First-Person-Shooter, VR-Implementierung und einem großen Entwicklungsbudget. Ein prädestinierter AAA-Blockbuster!
Daher die ganz legitime Frage: Darf man so eine Mixtur unvorbereitet und hochdosiert konsumieren? Wie beeinflusst den Besitzer eines VR-Helms die Irrfahrt in die Welt der Maniacs und Monster? Dazu gibt es Meinungen von Experten – in diesem Fall die von russischen Psychiatern.
Echter Grusel, aber nur zum Spaß
Zaubertricks der Spielentwickler, die Adrenalin ins Blut ausschütten lassen, sind so alt wie die Welt selbst. Zumindest im Kino sind sie schon trivial geworden. Hier und da tritt plötzlich ein Monster aus der Finsternis hervor, dort quietscht die Straßenlaterne, daneben fressen Kannibale. Was tun? Egal, wie oft man in solche furchterregende Situationen versetzt wird, wird die Reaktion immer wieder ausgelöst, fast wie die zuverlässige schweizerische Uhr. Die Wiederholung dieser Einschüchterungsmethoden ist dem Psychiater ebenfalls bekannt.
Viktor Samochwalow: Das Spiel [Resident Evil 7] erinnert mich an etwas Klassisches à la Hitchcock, jedoch ist es zu langweilig und ungerechtfertigt lang. Nach der Intention der Autoren sollte das die Steigerung von Unruhe und Angst stimulieren. Da sich aber die Atmosphäre und die Farbe der Umgebung fast nicht ändern, treten anstatt von Unruhe und Angst Langeweile auf. Selbstverständlich sollte man sich das ganze Spiel für die Vollständigkeit des Urteils ansehen, aber die auf YouTube vorhandenen Videofragmente sind ausreichend, um zu vermuten, dass das Spiel auf der Gegenüberstellung von Warten, Unruhe, Angst und… Langeweile basiert.
Warum wollen Menschen also richtig heftig erschrocken werden? Vor allem in der virtuellen Realität, die die Wahrnehmung verstärkt?
Viktor Samochwalow: Wenn man in der Situation eines Krieges lebt, mittendrin in Gewalt und Armut, lässt man sich nicht einfach erschrecken, jedoch möchte man auch keine größere Angst mehr erleben. Wenn man in Frieden lebt, entsteht das Bedürfnis nach Stress. Bei den Tieren sowie bei den Menschen wird dieses Bedürfnis in einem Spiel verwirklicht, unter anderem in einem aggressiven. Im Laufe der Anpassung an das Grauen, erhöht sich die Toleranz und man muss die Angst verstärken, um noch überhaupt etwas zu empfinden – zum Beispiel mit Hilfe von Schmerz, Erniedrigung und Abscheu. Dies ist dadurch bedingt, dass man sich sicher ist – das ist ein Spiel, ein Film, ein echter Tod ist hierbei unmöglich.
Alexandr Danilin: Eine VR-Brille erinnert mich an die Augenlieder-Fixatoren, die den Patienten gezwungen haben, durchgehend Videos zu schauen, die von dem „Therapeuten“ der Verhaltenstherapie der 60er Jahre gezeigt wurden. Details dazu kann man im Kultfilm „Uhrwerk Orange“ von Stanley Kubrick sehen (wenn Sie ihn noch nicht kennen, empfehle ich ihn Ihnen auf jeden Fall – vor allem in Verbindung mit Resident Evil 7). Die Augenlieder-Fixatoren wurden nicht freiwillig aufgesetzt, die VR-Brille schon. Das ist eigentlich der einzige Unterschied. Warum ist der Mensch heutzutage bereit, dafür zu zahlen, was in den 60ern in den USA als Folter betrachtet wurde? Weil in der virtuellen Realität es dem Menschen einfacher fällt, einige Handlungen durchzuführen, die in der wirklichen Gesellschaft als eine Untat wahrgenommen wird. Die klassische Psychoanalyse betrachtet die Begeisterung für Horrorfilme als eine „Bestrafung für die passive Lebenseinstellung“ (im sexuellen sowie im sozialen Sinne). Deswegen möchte man erschrocken werden – der Schreck im Film oder im Spiel ist ein illusionärer Austausch von Gefühlen, die ein Mensch im realen Leben nicht empfinden will. Wir möchten dem Tod, der Gewalt und den Enttäuschungen nicht begegnen. Dagegen erleben wir sie im Spiel mit aufrichtigem Vergnügen!
Gift oder Heilmittel?
Wenn schon Resident Evil 7 den Spieler in eine Stresssituation versetzt, ist die Zeit gekommen, um nachzudenken, ob es der Psyche Schaden zufügt oder mit Nutzen für die Seele konsumiert werden kann. Nichtsdestoweniger ist das kein gewöhnlicher Screamer aus den dunkelsten Ecken von Steam Greenlight, sondern ein Produkt erster Klasse. Deswegen würden viele die Lust dafür emfpinden, sich mit diesem Horrorspiel vertraut zu machen – mit oder ohne eine VR-Brille.
Bis vor kurzem erinnerten VR-Gruselspiele an eine Jahrmarkt-Schaubude. Das Vergnügen entschwand nach etwa 20 bis 30 Minuten und die Bildqualität ließ noch zu Wünschen übrig. Im Falle von Resident Evil 7 beträgt der ganze Walkthrough 15 Stunden. Eine berechtigte Frage dazu: Ist es denn möglich, dass ein Spieler, der immer wieder in die grauenvolle Welt eintaucht, einen psychischen Schaden erleidet?
Viktor Samochwalow: Ich respektiere Gamer und glaube, dass sie in den meisten Fällen es langweilig finden würden, mehr als 20 Minuten an diesem Spaß teilzunehmen, denn das, was man dort zu sehen bekommt, ist im Prinzip sehr unangenehm… Ob man einen psychischen Schaden dadurch erleiden kann? Das ist möglich, aber nur dann, wenn die Veranlagung dafür da ist. Schließlich sind nicht alle Polizisten, die wegen schwerer Verbrechen ermitteln, und nicht alle Psychiater werden zu Neurotikern. Aber ausgenommen solche Menschen beschäftigen sich meistens mit roher Gewalt. Jedoch trifft man auch in deren Reihen ebenfalls blutrünstige Wahnsinnige und Psychiater, die Sekten organisieren. Ich denke, die psychische Störung aufgrund von Resident Evil 7 ist eine Art „Computerkrankheit“. Die Symptome sind den der posttraumatischen Störung bei den Soldaten in Kriegsgebieten ähnlich. Bei so einer Computerkrankheit sind folgende Merkmale charakteristisch: Sichtbarkeit der virtuellen Elemente in der realen Umwelt, stereotypisierte Handlungen, audiovisuelle Illusionen. In unserem Falle müssten Angst und Unruhe hervortreten, die sich allmählich in die Gleichgültigkeit verwandeln.
Alexandr Danilin: Eventuell könnten solche Spiele einen therapeutischen Effekt haben, aber die Therapie ist immer dosiert. Die Patienten aus „Uhrwerk Orange“ waren ja keine Verbrecher, die einer „experimentellen Umerziehung“ unterzogen wurden, sondern Patienten, die nach Hilfe suchten. Sie erlebten so eine „vollständige Immersion“ nicht häufiger als ein Mal pro Jahr. Andererfalls entsteht die „Gehirnwäsche“. Was ist eigentlich „Gehirnwäsche“? Das ist ein Austausch der Realität. Den Platz der herkömmlichen Realitätswahrnehmung besetzt die Realität, die von dem „Hypnotiseur“, der „totalitären Propaganda“ und… einem VR-Helm eingeredet wird. Einem Spieler in Resident Evil 7 würde ein Spiel im Jahr höchstwahrscheinlich nicht ausreichen. Das bedeutet, dass seine subjektive Realität ständig transformiert wird. Sein „Realitätstunnel“ wird sich langsam mit Verbrechern und Psychos füllen, seine Passivität wird sich maximieren und die äußere Realität wird immer mehr Angst hervorrufen. Kann man denn solche Veränderungen der subjektiven Realität als eine psychische Störung betrachten? Das weiß ich nicht. Eine psychische Störung ist ein sehr verschwommener und sozial bedingter Begriff. Die einheimische Psychiatrie würde auftretende Probleme als „Schizophrenie“ einstufen und mit psychotropen Medikamenten behandeln. Genau so läuft das auch in der heutigen Zeit. Mit solcher Herangehensweise bin ich auf keinen Fall einverstanden. Aber das ist keine Frage der Unstimmigkeiten.
Ist es denn möglich, dass so ein Spiel ein Mittel ist, um die Spannung und Phobien zu beseitigen – basierend auf der Methode der systematischen Desensibilisierung? Kann man ähnliche Spiele in therapeutischen Zwecken verwenden?
Viktor Samochwalow: Es existieren solche psychotherapeutische Methoden, die helfen, Phobien mittels „Angstflut“ zu behandeln. Außerdem gibt es Beschreibungen, dass nach einer akuten Angstempfindung eine höchst effektive Entspannung folgt. Das Prinzip der systematischen Desensibilisierung beruht auf der Rangierung von Angst und wird bei Unruhen und Phobien angewandt. Jedem solchen Angstrang kann man eine entsprechende Relaxation zuweisen. Solche Spiele können in der Psychotherapie benutzt werden, aber nur dann, wenn Psychologen und Psychiater an der Entwicklung und der Anwendung des Spiels teilnehmen.
Wenn Spiele für die Behandlung von Angst benutzt werden, auf welche Art und Weise geschieht das? Gibt es irgendwelche dokumentierte und anwendbare Methoden?
Viktor Samochwalow: Die einzige Methodik, die in den letzten 25 Jahren entwickelt wurde, ist die sogenannte persönlichkeitsorientierte Computerpsychotherapie von I. M. Miroschnik und E. W. Gawrilin. Aber sie schließt keine Modifikation des Verhaltens mit Hilfe des Spiels ein. Das ist eher eine Psychodiagnostik. Im Westen sind positive Fälle erfolgreicher Modifikation des Verhaltens mittels Gadgets und Spiele bekannt, aber, soweit ich weiß, sind es keine speziell entwickelte, sondern experimentelle Methodiken.
Alexandr Danilin: Ich kenne keine dokumentierte Verwendung von Computerspielen in der Psychotherapie. Verwendet werden aber speziell gefertigte Modelle virtueller Realität, wie z.B. bei der Rehabilitation motorischer und kognitiver Störungen nach einem Insult. Das Hauptprinzip besteht darin, eine künstliche Realität zu erschaffen, wo der Patient Aktionen einfacher ausführen kann, die ihm in der materiellen Welt Schwierigkeiten bereitet hätten. Allerdings muss jede Therapie in einem angemessenen Behandlungszeitraum durchgeführt werden – etwa eine Stunde. Stellen Sie sich eine „Therapie“ vor, die 15 Stunden dauert (so etwa eine medizinische Hypnose oder Psychoanalyse), und Sie werden verstehen, dass es sich dabei um die „Gehirnwäsche“ handelt, um einen Versuch, die Persönlichkeit zu verändern.
Horror ist kein Spielzeug für Kinder
Als Vertreter einer Generation, die als kleine Kinder „Alien“ auf einem VHS-Player gesehen und Mortal Kombat auf einer SEGA Mega Drive gespielt haben, konnten wir die Hauptfrage nicht entgehen lassen.
Auch wenn Resident Evil 7 für die erwachsene Zielgruppe bestimmt ist, werden auch Minderjährige das Spiel spielen. Wie kann es ihre Psyche beeinflussen?
Viktor Samochwalow: Anhand der Altersregelungen und des Inhalt des Spiels, ist meine Meinung, dass es ratsam wäre, Kinder und Jugendliche davon fernzuhalten. Gerade Jugendliche suchen in ihrem Alter nach einer Identifikation, sie suchen nach sich selbst. Es wäre sehr traurig, wenn sie beim Tauchen in die Welt unvorhersehbarer Gewalt plötzlich Aggression, Unruhe und Angst fixieren würden. Das kann sich in einer Neurose oder Psychose verkörpern.
Alexandr Danilin: Ob solche Spiele die Psyche des Jugendlichen lebenslang zerbrechen können? Das können sie leider. Über alles andere kann man nur anhand konkreter Beispiele diskutieren.
Ein recht umstrittenes Interview, nicht wahr? Was denkt ihr? Können uns die Experten den Gruselspaß mit dem neusten Xbox Play Anywhere Titel versauen? Oder sind das nur altmodische Bedenken? Eure Kommentare sind äußerst gefragt!
Resident Evil 7 ist könnt ihr euch im Windows Store bzw. Xbox Store kaufen und herunterladen:
via 4pda
Dazu sag ich nur: Netflix -> Black Mirror -> Staffel 3 / Folge 2 (alle Folgen unabhängig voneinander) Horrorspiel experiment mit Holgramme.
Ich beziehe mich auf Alien Isolation. Habe die Filme gesehen und wusste also was mich erwartet. Dennoch fuhr es mir jedes mal kalt den Rücken runter, wenn mich das Alien fand und ich dran glauben musste. Meine Frau fand das immer zum lachen, bin ich doch so manchen Horror oder SiFi – Monster Film gewohnt. Es ist aber aus meiner Sicht etwas ganz anderes, wenn man in ein Game vertieft ist, die Rolle des Protagonist annimmt und versucht unentdeckt zu bleiben um nicht ins Gras zu beißen, wieder von vorne beginnen zu müssen. Da sind die Nerven gespannt, das Adrenalin… Weiterlesen »
Ich würde das Spiel gerne in VR spielen. Habe leider aber noch eine VR Brille. Generell halte ich aber nichts von dem Genre. Ich finde nur die Idee der VR extrem faszinierend.