Mittlerweile befinden sich knapp 400.000 Apps im Windows Phone Store – das ist beachtlich, aber auch mit Kompromissen verbunden. Doch nicht immer steckt eine halbherzige und verspätete Umsetzung bekannter iOS Applikationen dahinter, nicht immer sind es große Namen und unbändige Budgets, die hinter einer erfolgreichen App stecken müssen:
Rolf Borst (42), liebt Windows. Von ihm stammen die erfolgreichen Apps Funktionsplotter, Kennzeichensammler und auch die jüngst von WindowsUnited vorgestellte Terminplaner-App Noch 53 Tage.
Seine nicht unbedingt durchgehend für den Mainstream bestimmten Anwendungen erhalten im ständig wachsenden Windows Phone Store fast durchgehend Bestnoten.
Der selbst aus der Branche stammende Kachel-Liebhaber stand WindowsUnited für ein anekdotenreiches Interview zur Verfügung.
„Die Entwicklung von Apps ist für mich Entspannung pur.“
Einige persönliche Worte – erzähle einfach mal etwas über Dich. Wer ist Rolf Borst ?
Meinen allerersten Computer habe ich Mitte der 80er Jahre im Technikunterricht gesehen. Da wusste ich: So ein Teil muss ich haben. Mein erster Computer war dann auch ein Amiga 500. Die Spiele waren damals schon toll. So richtig begeistert hat mich aber immer das Programmieren und Entwickeln. Und das ist bis heute so geblieben. Inzwischen habe ich schon einige Programmiersprachen ausprobiert und mache das auch schon viele Jahre beruflich, trotzdem macht es mir heute noch genau so viel Spaß wie damals. Es gibt immer wieder was Neues und Interessantes zu entdecken und es wird nie langweilig.
Diesen Spaß am Programmieren versuche ich immer auch ein bisschen in meinen Apps rüberzubringen und vielleicht auch immer etwas ein wenig anders zu machen als andere.
Beruflich arbeite ich bei einem Softwarehaus für Verwaltungssoftware und gebe nebenher noch eine Vorlesung für „Datenbankprogrammierung“ an der Hochschule. Das mit den Studenten macht auch unheimlich viel Spaß. Das mache ich fast sogar noch lieber als Apps entwickeln 🙂
Wie bist Du dazu gekommen eine App für Windows Phone zu entwickeln und wie kam Dir die Idee dazu ?
Als die iPhone- und Android-Welle losgeschwappt ist, hatte ich noch so ein klassisches Nokia Handy und konnte mir nicht vorstellen, für was ich ein Smartphone brauchen könnte. Als ich dann aber 2010 die ersten Bilder von Windows Phone gesehen habe, da hat es mich richtig umgehauen. Große Schriften, Kacheln (OK, ich gebe zu, ich bin ein Fan von den Kacheln), weiße Schrift auf schwarzem Hintergrund, flaches Design… der absolute Wahnsinn. Ich habe die ersten Bilder gesehen und wusste: Das muss ich haben.
Ein Arbeitskollege hatte zu dieser Zeit schon seine ersten Apps für Android entwickelt und da mich Android nicht wirklich interessiert hat, habe ich mir gedacht, dann mach doch einfach was für Windows Phone.
Meine erste App war der Kennzeichensammler. Die Idee dazu kam mir als ich mit meinem kleinen Toyota unterwegs war. Früher hatten wir als Kinder immer die Kennzeichen mit Stift und Papier notiert und waren dann immer ganz happy, wenn wir mal ein total unbekanntes Kennzeichen gesehen haben. Aus diesem Gefühl heraus ist dann auch der Kennzeichensammler entstanden.
Als die App Ende 2010 online ging, gab es noch keine 1000 Apps im Store.
Kennzeichensammler ist die erste App, die Rolf Borst für Windows Phone programmierte.
Und warum ausgerechnet Windows Phone?
„Windows Phone war für mich eine Liebe auf den ersten Blick und das ist bis heute so geblieben.“
Entwickelst Du denn auch für andere Systeme oder ist da in naher Zukunft etwas geplant?
Apps entwickle ich eigentlich nur, weil es mir Spaß macht. Bei iOS und Android springt bei mir einfach kein richtiger Funke über. Da meine Apps auch alle kostenlos sind, brauche ich da glücklicherweise auch nicht auf die Marktanteile schauen und kann für das System entwickeln, dass ich selbst in der Tasche habe und das ein absolut tolles Entwicklungssystem mitbringt. In naher Zukunft habe ich auch nicht geplant meinem Lieblingssystem untreu zu werden.
Welche SDK´s verwendest Du um eine App für Windows Phone zu entwickeln? Wie gehst Du vor?
Für das Entwickeln verwende ich das kostenlose Visual Studio. Da ist dann auch ein super Emulator für die Apps mit dabei. Fremdbibliotheken verwende ich eigentlich keine, die Standardbibliotheken von Windows Phone bringen eigentlich schon alles mit was ich so brauche.
Die Entwicklung hat sich bei mir ein bisschen verändert. Im ersten Jahr habe ich noch 9 neue Apps veröffentlicht. 2010/2011 gab es noch fast keine Apps und viele Themengebiete waren noch unbesetzt. Inzwischen erweitere ich eher meine bestehenden Apps und habe sogar die Zahl auf 6 reduziert.
Mir ist vor allem Qualität wichtig. Da ist mir auch einmal was richtig Blödes passiert. Da habe ich morgens die neueste Version der App Noch 53 Tage in den Store hochgeladen und dann mittags beim Essen noch ein bisschen ausprobiert und plötzlich wurden alle meine mühsam erfassten Daten mit 100 Testeinträgen überschrieben. Da hatte ich schlicht einen Testcode vergessen rauszunehmen und wenn man einen Eintrag mit einem großen „A“ vorne erfasst hat, war alles futsch.
Das war in der Anfangszeit von Windows Phone.
„Es hat geschlagene 7 Tage gedauert bis die Apps nach dem Hochladen von Microsoft getestet und im Store verfügbar waren.“
In der Zeit konnte man als Entwickler nichts machen. Ich saß also zwei Wochen auf glühenden Kohlen bis das Update endlich im Store ankam. Zum Glück hat das Problem nur ganz wenige User erwischt.
Inzwischen sind die Updates meistens schon nach wenigen Stunden im Store, trotzdem geht seit dem „Zwischenfall“ bei mir kein Update mehr ohne ausführlichen Test und eine einwöchige Quarantänephase raus.
Mit Noch 53 Tage hat man alle wichtigen Termine bestens im Blick
Hast Du hilfreiche Unterstützer oder machst Du Alles im Alleingang?
Beruflich entwickle ich fast nur große Projekte in größeren Teams. Die Apps entwickle ich meiner Freizeit. Und da genieße ich es einfach auch mal alles selbst zu machen, keine Meetings zu haben, keine Kompromisse schließen zu müssen und einfach den Ideen freien Lauf lassen zu können. Die Entwicklung von Apps ist für mich Entspannung pur.
Welche Deiner Apps gefällt Dir persönlich am Besten und welche den Usern ?
Mein heimlicher Favorit ist nach wie vor noch meine erste App, der Kennzeichensammler. Da haben alle Arbeitskollegen und Freunde gemeint, eine solche App braucht kein Mensch. Und trotzdem ist die App richtig toll bei den Usern angekommen und es ist immer noch die App, die ich selbst am meisten verwende und mit der ich auch heute noch im Urlaub am meisten Spaß habe.
Am Erfolgreichsten ist bestimmt der Funktionsplotter. Den habe ich im Gegensatz zum Kennzeichensammler auch weltweit veröffentlicht. Mit dieser App bekomme ich weltweit die meisten 5-Sterne- und die wenigsten 1-Sterne-Bewertungen.
Bewertungen sind für mich als Entwickler überhaupt eine tolle Sache. Das bekommt man dann einfach auch mit, wie die Benutzer die Apps finden. Ich lese wirklich jede Bewertung und die Developer App von Microsoft übersetzt die weltweiten Reviews gleich ins Deutsche. Manchmal ist es dann auch ein bisschen kurios:
„Vor ein paar Jahren hat mir ein User mal einen Stern verpasst, weil es die App nicht auf Finnisch gibt.“
Und das ist nur eines von vielen Beispielen.
Kennst Du genaue Download Zahlen ?
Ich war ja bei Windows Phone schon ziemlich früh mit dabei. Und im Android-Store gab es damals dann immer so Download-Angaben bei den einzelnen Apps (Wurde 0-50 mal, 50-100 mal, usw. installiert). Irgendwie konnte ich es mir nie vorstellen, eine App zu haben, die mehr als 1000 mal heruntergeladen wird. Und am Anfang hatte ich dann auch immer so mal einen Download am Tag oder wenn es ganz super lief auch mal 5 Downloads. Da hatte ich mir dann auch mit Excel eine richtig schöne Kurvengrafik gebastelt. Ein halbes Jahr hat sich das dann auch immer so in diesem Rahmen bewegt.
Im Sommer 2011 habe ich dann den Funktionsplotter hochgeladen. Und diese App hat meine kühnsten Träume übertroffen. Die App wurde bereits am ersten Tag über 1000 mal heruntergeladen. Und das bei einer Mathe-App! Das war für mich unglaublich. Der Funktionsplotter ist auch heute noch meine App mit den meisten Downloads.
Die Ziele sind inzwischen ein bisschen gewachsen und die eine Million Downloads sind inzwischen mein neues Ziel. Anfang 2016 könnte es vielleicht soweit sein 🙂
Die Anwendung Sparbüchse ist nur einer von derzeit sechs kleinen Helferlein aus der Feder von Rolf Borst.
An was arbeitest Du derzeit bzw. was haben wir von Dir als nächstes zu erwarten?
2014 war ein relativ schwieriges Jahr für meine Apps. Da war beruflich sehr viel los und da bin ich dann nicht richtig zu meinen Apps gekommen. Dieses Jahr sieht es wieder ein bisschen besser aus.
Momentan bin ich dabei, meine Apps für Windows 10 vorzubereiten. Eigentlich möchte ich aus jeder App gerne eine Universal App machen. Ende April ist dann auch die große Entwicklerkonferenz „build“. Nachdem meine geliebten Pivot-Reiter in den ersten Versionen von Windows 10 (Phone) ja bei Microsoft irgendwie in Ungnade gefallen sind und inzwischen selbst von Microsoft mehr die „Hamburger-Menüs“ gepusht werden, bin ich mal gespannt, wie Microsoft sich die „neuen“ Apps so vorstellt.
Aktuell nehme ich gerade meinen Funktionsplotter auseinander. Da habe ich noch viele Ideen für die nächste Version, dafür brauche ich aber ein paar größere Änderungen tief im Mathe-Kernel der App.
Was denkst Du über Microsofts aktuellen Kurs, das kommende Windows 10 und die Konkurrenz?
Irgendwie bin ich glaube ich schon ein bisschen ein Microsoft-Fan. Ich gehöre auch zu den 0,0000001% der Windows-Benutzer, die sogar Vista toll fanden. Microsoft scheint es irgendwie immer wieder zu schaffen, meinen Geschmack zu treffen.
Am Veröffentlichungstag von Windows 95 bin ich sogar mit vielen anderen vor dem MediaMarkt gestanden und dann reingestürmt (das kennt man heute eigentlich nur noch von Apple). Seit dem ist viel Zeit vergangen und Microsoft hat bestimmt auch viele Fehler gemacht. Aktuell kommt mir Microsoft sehr innovativ und viel offener vor als vor einigen Jahren. Meine Gesundheitsdaten müssen zwar nicht unbedingt bei Microsoft liegen, aber ich hoffe trotzdem dass sie es schaffen sich neu zu erfinden.
Android und iOS sind bestimmt tolle Systeme, aber einfach nicht so mein Fall. Ich hoffe Microsoft schafft es, ein drittes erfolgreiches System zu etablieren. Bei den Browsern hat in den letzten Jahren ein bisschen Konkurrenz ja auch nicht geschadet.
Zuletzt noch die folgende Frage: Welches Windows Phone benutzt Du privat?
Mein erstes Windows Phone war das Samsung Omnia 7 (das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, dass es mal ein Windows Phone von Samsung gab). Danach hatte ich natürlich das erste Windows Phone von Nokia: Das Lumia 800.
Aktuell benutze ich ein Lumia 720. Das 720 ist mir zwar auch schon auf den Tiefgaragenboden gekracht, aber irgendwie total unverwüstlich. Seltsamerweise habe ich das auch am Schwersten bekommen.
„Erst nach einem 15-minütigen „Android-ist-viel-besser-und für-Windows-gibt-es-keine-Apps-Beratungsgespräch“ war der Verkäufer bereit den Schrank aufzusperren und mir das Lumia zu geben.“
Da ist das Traum-Smartphone nur 20 cm entfernt und der Verkäufer will es einfach nicht rausrücken. Unglaublich.
Eure Seite finde ich übrigens richtig klasse. Besonders toll finde ich, dass Ihr auch immer so ganz eigene Artikel habt (die man sonst so nirgends findet) und auch Eure persönliche Note reinbringt. Da merkt man richtig, dass Ihr mit viel Herzblut dabei seid 🙂
Im Namen des ganzen Teams bedanke ich mich recht herzlich für das ausführliche Interview.
endlich mal jemand bei dem Windowsphone auch die Liebe auf dem ersten Blick war. Ich habe auch mit dem Samsung Omnia. 7 angefangen und bin über Nokia Lumia 520, 800 , 820 beim 1520 gelandet das ich nie mehr weggeben werde.
Cooles Interview und sehr sympathischer Entwickler. Danke, Marco. 🙂
Interessantes Interview! Der Funktionsplotter hat mir den Allerwertesten gerettet, da ich mathematisch eher etwas begriffsstutzig bin. Aber so konnte ich viel probieren und sah gleich die graphischen Änderungen, wenn in einer Funktion z.B. aus einem x ein x² wurde und konnte so ein Gefühl dafür entwickeln. So hab ich dann in der Prüfung auch eine 1,3 bekommen. Also auch von mir ein herzliches Dankeschön an Rolf Borst! 🙂
Super Interview, netter Dev. 🙂
Bitte mehr davon! Sehr gerne auch technische Hintergrundstories, wie was und warum in in WP funktioniert. Es gibt AFAIK keine WP-Seite, die sich intensiver mit der Technik auseinandersetzt. Hard- UND Software. Wäre Euer Alleinstellungsmerkmal. 😉
Vielen Dank für die lobenden Worte. In Zukunft ist durchaus mit ähnlichen Beiträgen zu rechnen – das Team von WindowsUnited freut sich daher nicht nur über positive Resonanz, sondern auch jede Anregung und (konstruktive) Kritik in den Nutzerkommentaren.
Hey, cool. Beim Samsung Omnia 7 kommen alte Erinnerungen hoch. Ich erinnere an Zune usw. 🙂
Aber ich bin auch seitdem dabei. Hoffentlich bleibt Windows for Phones trotzdem noch einzigartig und
gleicht sich nicht immer weiter an Android und iOS an.
Die Diskussion über den Wegfall der Räume-Funktion hatten wir ja erst.
Mit am besten fand ich diese Anekdote: “Erst nach einem 15-minütigen „Android-ist-viel-besser-und für-Windows-gibt-es-keine-Apps-Beratungsgespräch“ war der Verkäufer bereit den Schrank aufzusperren und mir das Lumia zu geben.”
Wenn es nicht so treffend wäre, könnte man sogar drüber lachen. Aber nur wenige Kaufinteressenten eines Smartphones mit gutem Preis/Leistungsverhältnis werden vom einem Einzelhändler bezüglich Windows Phone fair beraten, vielleicht mit zwei Ausnahmen: 1. der Verkäufer nutzt selbst ein Windows Phone, 2. ein bestimmtes Windows Phone ist gerade in diesem Geschäft im Angebot. (Abverkauf)
Neulich musste ich mir wieder von ignoranten Kollegen anhören: Windows Phone? Ist das nicht tot?