„Du bist scheisse, Tom“: Wie PR-Firmen mit Beleidigungen viral gehen wollen

Edgy-PR ist seit wenigen Jahren voll im Trend. Gemeint ist eine saloppe und bissige (edgy) Haltung von PR-Mitarbeitern gegenüber den Kunden des jeweiligen Unternehmens. Edgy-PR findet fast ausschließlich in sozialen Medien statt.

Das Ziel: Aufmerksamkeit. Bestenfalls gehen die derben Debatten zwischen Kundenservice und Nutzern viral und beschenken das Unternehmen mit hoher Reichweite.

Der Wunsch viral gehen zu wollen ist mittlerweile zum Virus geworden, der einer Kur bedarf. Lasst mich erklären.

Beleidigungstrend aus den USA

Der Ton in den sozialen Medien kann schnell rau werden. In der Vergangenheit reagierten PR-Firmen aber selbst auf übelste Beleidigungen mit übernatürlicher Freundlichkeit: „Mein Strom funktioniert nicht, ihr seid ein ****laden, ich **** eure ganze Familie, *****************“, wurde von Stromanbietern meist mit einem „Es tut uns sehr leid, dass ihnen Unannehmlichkeiten entstanden sind. Wenn sie uns per DM ihre Kundennummer schicken, werden wir uns das Problem sehr gerne anschauen“.

Solche Textbaustein-Antworten kennt jeder und wir alle haben uns schon einmal gefragt, ob da nun ein Mensch oder Bot für den Twitteraccount des Unternehmens zuständig ist.

Um dem entgegenzuwirken und eine persönlichere Ebene mit den Kunden herzustellen, fing in den USA zunächst der Trend mit etwas personalisierteren und sogar humorigen Antworten an. Beispielsweise wurde der Kunde mit Namen angesprochen oder erhielt auch mal ein nettes GIF als Antwort.

Irgendwann fiel dann aber auf, dass derbe Debatten zwischen Unternehmen und Kunden eine viel größere Aufmerksamkeit (Reichweite) erreichten. Exemplarisch dafür steht ein Twitterdialog zwischen einem Nutzer und der US-Burgerkette „Wendy’s“ aus dem Jahr 2016:

your beef is frozen and we all know it. Y'all know we laugh at your slogan "fresh, never frozen" right? Like you're really a joke.

— Haamps (@NHride) January 2, 2017

so you deliver it raw on a hot truck?

— Haamps (@NHride) January 2, 2017

You don't have to bring them into this just because you forgot refrigerators existed for a second there.

— Wendy’s (@Wendys) January 2, 2017

Dieser und viele andere Tweets von Wendy’s sind mittlerweile viral gegangen. Es gibt sogar Webseiten, die Hitlisten der besten Tweets der Burgerkette kurieren. 

Wieviel das bringt, zeigt die Wachstumskurve des Twitteraccounts von Wendy’s:

Werbung durch Social Media ist sehr viel günstiger als traditionelle Methoden wie Print und TV. Der Kultstatus dieser Tweets sorgt zudem dafür, dass Kunden Teil dieser Popbewegung sein möchten, was für zusätzliche Bindung sorgt.

Positive und negative Beispiele aus Deutschland

In Deutschland hat man den Trend des Edgy-PR ebenfalls für sich entdeckt. Exemplarisch sollte hier die BVG (Öffentliche Verkehrsbetriebe in Berlin) genannt werden. Das PR-Team der BVG tritt meist charmant und schlagfertig auf – Provokationen werden immer mit einem Augenzwinkern getweetet.

Das Musikvideo „Is mir egal“, das den Startschuss für die neue PR-Offensive der BVG gegeben hat, gehört mittlerweile zur deutschen Popkultur.

https://www.youtube.com/watch?v=xvcpy4WjZMs

Die BVG hat mit „Weil wir dich lieben“ Kultstatus in Berlin und darüber hinaus erlangt. Die Kampagne ist zweifelsohne eine Bereicherung für das Unternehmen und Kunden zugleich.

Leider zieht dieser Trend auch viele schwarze Schafe an. Denn: Edgy-PR muss gekonnt sein. Einige Unternehmen zielen aber nur auf Reichweite durch den Schockfaktor ab.

Als Negativbeispiel muss man hier das PR-Team von Unity Media anführen, das oft durch plumpe Beleidigungen seiner Kunden von sich Reden macht:

https://twitter.com/UnitymediaHilfe/status/1083336090029707264

Klar, indem wir über diesen und andere Entgleisungen von Unity Media berichten, ist ein Ziel – erhöhte Aufmerksamkeit – von Edgy-PR erreicht. Diesmal gibt das Verhalten von Unity Media bei uns den Ausschlag zur öffentlichen Reflektion.

#Beste: “Wirst du feucht?” Unitymedias verbale Entgleisung gegen Kunden

Wollen wir diese Art von Kundenumgang?

Ein lustiger Tweet zwischendurch, der vielleicht sogar spontan entstanden ist, mag noch cool sein. Wenn Unternehmen sehen, dass Wendy’s und BVG erfolgreich mit Edgy-PR sind, folgt naturgemäß ein Nachahmeffekt. Die Frage ist dann: Möchte ich, dass Unternehmen nur noch so mit Kunden sprechen? Den Spagat zwischen geschmackvoller Unterhaltung und professionellem Service schaffen nur wenige.

Bei solch schlampiger Ausführung wie bei Unity Media muss ich mir zudem bewusst machen: Hier soll provoziert werden. Jeder Retweet und jede Empörung gibt das Signal zurück „Hey, wir machen alles richtig“.

Ich bin kein großer Fan von Edgy-PR. Mittlerweile hat diese Art der Kommunikation den Mainstream erreicht. Aus einer innovativen und witzigen Idee, wird so ein uninspiriertes und selbstherrliches sich Produzieren, das seinen spontanen und persönlichen Ursprungscharakter verloren hat und dadurch überflüssig wird.