Wann immer neue Smartphone OS Marktanteile veröffentlicht werden, sorgt das in der WindowUnited Community für hitzige Diskussionen. Das ist verständlich, bedeuteten Marktanteile aus Windows Mobile Sicht zuletzt doch eher schlechte Nachrichten. Gelegentlich aufflammende Debatten, ob market share überhaupt wichtig ist und warum WindowsUnited eigentlich so schlechte Nachrichten veröffentlichen muss, sind zwar eindeutig von Emotionen statt von sachlichen Einwänden geprägt. Interessant und wichtig ist hingegen die Frage, wie aussagekräftig die veröffentlichten Daten jeweils sind und welche ökonomischen Realitäten sie tatsächlich widerspiegeln.
Statistiken sind ja immer eine komplizierte Angelegenheit und die nackten Zahlen suggerieren oft eine Eindeutigkeit und Präzision, die so nicht gegeben ist. Schon bei einer scheinbaren klaren Fragestellung wie nach dem Marktanteil eines mobilen Betriebssystems, muss man sehr genau darauf achten, wie die Statistiken zu Stande kommen und was darin eigentlich verglichen wird. Und es ist leider richtig, dass viele Medien – einschließlich WindowsUnited – Statistiken und Prognosen nicht immer mit der sprachlichen Präzision und kritischen Distanz präsentieren, die die Sache eigentlich erfordern würde. Das gilt dann umso mehr für politische Umfragen oder volkswirtschaftliche Statistiken, aber mit so ernsten Themen müssen wir uns hier zum Glück nicht beschäftigen.
Hier also ein kurzer Überblick, was „Marktanteile“ eigentlich bedeuten und worauf man bei entsprechenden Veröffentlichungen achten sollte.
Marktanteil ist nicht gleich Marktanteil
Wenn irgendein Marktforschungsinstitut eine Statistik zu Marktanteilen veröffentlicht – sei es von Browsern, Betriebssystemen, Hardware Herstellern etc. – muss man sich zuallererst fragen, was damit überhaupt gemeint ist, also welche Kenngrößen genau miteinander verglichen werden.
Was sich viele Leser unter dem Begriff „Marktanteil“ vorstellen, ist der Anteil der genutzten oder aktiven Geräte eines bestimmten Typs. Das ist der sogenannte user marketshare. Solche Daten werden zum Beispiel monatlich von Net Applications veröffentlicht. Dazu werden Nutzerdaten von rund 40.000 Webseiten auf der ganzen Welt gesammelt und jeweils nach Browser, Betriebssystem und Gerätetyp der eindeutigen Besucher aufgeschlüsselt.
Bei reinen Softwarediensten wie Web-Browsern ist die Zahl der aktiven Nutzer tatsächlich die entscheidende Metrik, weil aktive Nutzer das sind, was monetarisiert werden kann. Wenn es um Hardware geht – und das Smartphonegeschäft ist noch immer überwiegend ein Hardwaregeschäft – besteht der „Markt“ allerdings aus Neugeräteverkäufen. Ältere Geräte, die immernoch in Betrieb sind, zählen dabei nicht. „Marktanteile“ beziehen sich deshalb in aller Regel auf den Absatz neuer Geräte und nicht auf die vorhandene Userbase.
Und nun ist wieder Vorsicht geboten. Denn wenn man wissen will, welchen Anteil des Marktes ein bestimmter Hersteller oder ein bestimmtes Betriebssystem ausmacht, gibt es verschiedene Kennzahlen, die man heranziehen kann. Zum einen könnte man die erzielten Umsätze vergleichen – das ergibt den sogenannten dollar marketshare. Bei Consumer-Produkten wie Smartphones und PCs werden aber so gut wie immer Stückzahlen verglichen – das ergibt den sogenannten unit marketshare. Ob man Stückzahlen oder Umsätze vergleicht, macht natürlich einen großen Unterschied, weil zum Beispiel ein iPhone im Durchschnitt sehr viel teurer ist, also höhere Umsätze generiert, als ein Android Phone.
Beim unit marketshare muss man ferner darauf achten, ob Verkäufe (sales) oder Auslieferungen (shipments) erfasst werden. Auslieferungen gehen überwiegend an den Einzelhandel, was nicht garantiert, dass die Geräte auch beim Endverbraucher landen. Natürlich sind sales und shipments stark korreliert, weil der Einzelhandel prinzipiell daran interessiert ist, sein Inventar auch abzusetzen. Trotzdem spiegeln shipments die Kundennachfrage etwas indirekter wider, weil auch andere Faktoren, etwa die Erwartungen der Händler, eine Rolle spielen. Andererseits sind shipments leicht zu erfassen – die Daten werden meistens von den Herstellern selbst veröffentlicht – während tatsächliche Verkäufe über die Ladentheke oft nur umständlich und stichprobenartig bestimmt werden können.
Windows Mobile Marktanteile – 3 Zahlen im Vergleich
Zur Veranschaulichung betrachten wir einmal die globalen Marktanteile von Windows Phone, einschließlich Windows Mobile. Ich nehme dazu die Daten aus dem 3. Quartal 2016 inklusive Vorjahresvergleich, weil ich hier drei verschiedene Erhebungen von drei verschiedenen Instituten (Net Applications, Gartner und IDC) gefunden habe.
Q3 2016 | Q3 2015 | |
Nutzeranteil (Net Applications) | 2,49% | 2,54% |
Verkaufte Geräte (Gartner) | 0,4% | 1,7% |
Ausgelieferte Geräte (IDC) | 0,3% | 1,6% |
Wir können hier ein paar interessante Beobachtungen machen.
1. Die Zahlen von Gartner (sales Anteil) und IDC (shipments Anteil) nicht identisch sind, die Differenz beträgt aber jeweils nur 0,1 Prozentpunkte. Die beiden Angaben scheinen also konsistent zu sein, zumal man jeweils eine kleine Fehlertoleranz mitdenken sollte.
2. Trends sind aller Regel zuverlässiger als absolute Werte. Eine statistische Methode kann immer einen systematischen Fehler enthalten, der dazu führt, dass die Anteile eines bestimmten Systems systematisch über- oder unterschätzt werden. Wenn man aber die Differenz zweier Datenpunkte betrachtet – also etwa aufeinanderfolgende Jahre oder Quartale vergleicht – dann hebt sich der Fehler (mehr oder weniger) auf. So sind sich IDC und Gartner etwa einig, dass der weltweite Marktanteil von Windows Phone innerhalb eines Jahres um 1,6 Prozentpunkte gesunken ist. Bei Gartner hat Windows Phone damit 3/4 seines Marktanteiles verloren, bei IDC sogar mehr als 4/5. Der Trend ist also eindeutig.
3. Wenn man nun die Martkanteile von IDC/Gartner mit dem user share von Net Applications vergleicht, dann stellt man fest, dass der Anteil von Windows Phone an den aktiven Geräten deutlich höher und deutlich stabiler ist als der Anteil an den Neuverkäufen. Auch wenn ich gewisse Zweifel an der Methodologie von Net Applications habe, sind die Zusammenhänge insgesamt plausibel. Die Windows Phone Verkäufe sind im letzten Jahr massiv eingebrochen, aber nur ein Bruchteil der genutzten Geräte wurde innerhalb des letzten Jahres gekauft und viele ältere Windows Phones sind nach wie vor aktiv.
Der user marketshare reagiert also etwas träge auf veränderte Marktsituationen – das beste Beispiel dafür sind die 9% die Windows XP bei den Desktop-Systemen immernoch erreicht. Trotzdem gilt natürlich: die Käufer von heute sind die Nutzer von morgen. Der user share kann sich einem anhaltenden Verkaufstrend nicht dauerhaft entziehen, er spiegelt ihn bloß mit einiger Verzögerung wieder. Tatsächlich beginnt auch Net Applications mittlerweile einen Einbruch bei den Windows Phone Nutzerzahlen zu registrieren – im abgelaufenen Monat lag der Anteil nur noch bei 1,76%.
Danke für den hervorragenden Artikel. Hat mich schon immer interessiert, wie die einzelnen Institute ihre Statistiken erheben. Selber kam ich leider noch nicht dazu, jetzt muss ich nicht mehr, weil es hier so wunderbar zusammengefasst wurde. Super ?
Aber wie weit manche Statistiken von der Realität entfernt sind, hat man 2016 ja gesehen…
Danke für den interessanten Artikel!
Vielen Dank für die sehr interessante und detaillierte Aufklärung.
Ich möchte auch wissen, ob in der Geschichte ein Smartphone geschafft hat, 14 Monaten nach Verkaufsstart sein Preis innerhalb von letzten 90 Tagen beinah verdoppelt hat.
Quelle: idealo.de, Lumia 950 DS, Preisentwicklung
Super Artikel, ich hatte es nicht besser machen können und ich hab den sch*** gelernt.
Der Fehler der und immer wieder begegnet ist, dass App Entwickler die Marktanteile nach Verkäufen beachten und nicht die, nach tatsächlicher Nutzung.
Mein Arbeitgeber macht den selben Fehler. Sie schauen auf die <1%. Sie Nutzern ändert den Nutzer Marktanteil und zwar nur für Deutschland (wir können und dürfen nur Kunden in DE ansprechen) berücksichtigen und der liegt viel viel höher.
Aber das werden die nie verstehen. Kampf gegen Windmühlen!
Aber die Entwickler wollen auch in Zukunft, das ihr Programm genutzt wird. Wenn also die verkaufszahlen zurück gehen, werden mit höchster Wahrscheinlichkeit, die Nutzer auch zurückgehen. Zwar nicht sofort, aber kontinuierlich, wie es auch in der Tabelle zu sehen ist.
Derjenige, der auf die verkaufszahlen schaut, agiert zukunftsorientiert, der der auf die Nutzer schaut, legt eben im jetzt.
Ich finde den artikel sehr gut
Wow, danke! Ich hab das ehrlich gesagt noch nie verstanden, aber jetzt klappts =)
Sehr guter Artikel, der sehr präzise formuliert ist. Danke für die genaue Abgrenzung der einzelnen Methoden?
Danke für die Kommentare, freut mich, dass ihr den Artikel hilfreich fandet!