Thorsten Hübschen, promovierter Mathematiker, ist seit Anfang 2014 Business Group Lead der Microsoft Office Division und leitet damit das deutsche Office Geschäft. WindowsUnited stand er für ein Gespräch zur Verfügung, über Windows 10, die Zukunft von Office und die Befindlichkeiten der Windows (Phone) Community, die sich in letzter Zeit oft vernachlässigt fühlte. Dass der deutsche Office-Chef uns, als Blog, bereitwillig ein Interview gibt wäre früher alles andere als selbstverständlich gewesen. Für diese neue Offenheit des Software-Riesen gibt es also ein erstes Vorschusslob. Das Gespräch begann dann auch überraschend locker und Thorsten hat uns gleich das „Du“ angeboten.
WindowsUnited: Thorsten, wie fühlt es sich an für eine Firma zu arbeiten, die seit ein paar Wochen plötzlich wieder cool ist?
Thorsten Hübschen: Es fühlt sich in der Tat auch cool an. Intern war dieses Gefühl, dass wir an coolen Sachen arbeiten, in den letzten Jahren schon da. Nach dem, was wir in den Labs gesehen haben und nach der Vision, die wir hatten, war uns eigentlich schon klar: wir haben richtig coole Dinger. Jetzt – oder eigentlich schon in den letzten 12 Monaten – wird die Vision greifbar: Mit dem Skype Translator, mit der Surface Pro 3, mit der HoloLens….
Dem gesamten Microsoft Konzern scheint mit Windows 10 neues Leben eingehaucht worden zu sein. Überall ist eine Begeisterung und ein gemeinsamer Fokus zu spüren wie lange nicht mehr. Täuscht der Eindruck, oder ist die Stimmung im Moment eine besondere?
Diese Stimmung ist gerade auch mit der Person Satya Nadella verbunden. Schon vor einem Jahr hat er Office auf alle Plattformen angekündigt und damit Microsoft offener gemacht.
In der Windows Community, vor allem der Windows Phone Community, hat diese Ankündigung nicht Jeden begeistert.
Es geht nicht um ein „Entweder-Oder“. Office mit Windows ist aus meiner Sicht die beste Produktivitäts-Plattform. Die Ankündigungen der letzten Tage haben das Verhältnis zwischen Windows und Office nochmal ganz klar definiert: Bei den neuen Office Apps für Windows 10 gibt es Funktionen, die nur deswegen funktionieren, weil wir auf die Bing Suche und Cortana zurückgreifen können, sodass Nutzer mit der Kombination aus Windows und Office ein noch reichhaltigeres Erlebnis haben.
Aber im Gegensatz zu früher ist Office tatsächlich auf allen Plattformen verfügbar. Und das war die große strategische Änderung. Office ist da, wo die Nutzer sind. Unser grundlegende Gedanke ist: wir folgen dem User.
Office galt lange Zeit als das Killer-Argument für Windows Phone. Dann sollte Office RT den Verkauf von Tablets ankurbeln. Letztendlich hat Microsoft die Office Apps auch für Privatanwender auf den Konkurrenzplattformen iOS und Android kostenlos zur Verfügung gestellt. Ist dieser Strategiewechsel nicht auch ein Eingeständnis, dass Office auf mobilen Geräten nicht so wertvoll ist wie gedacht?
Wie wertvoll Office für Smartphones und Tablets ist, hängt auch davon ab, was man unter Office versteht. Produktivitäts-Applikationen gehören immer noch zu den wichtigsten Anwendungen auf mobilen Geräten. Aber Produktivität auf mobilen Geräten bedeutet nicht: ich schreibe meine Diplomarbeit auf dem Handy. Das ist ein eher unrealistisches Szenario. *lacht* Die wichtigsten mobilen Szenarien sind erstmal Email, Kalender, Notizen – also angefangen bei Outlook bis zum digitalen Notizbuch mit OneNote, dass erst auf mobilen Geräten zur Höchstform aufläuft. Denn Notizen möchte ich immer dann machen und teilen, wenn mir ein Gedanke kommt – und da bin ich oft unterwegs.
Wenn man sich die neuen Versionen anschaut, die wirklich für mobile Endgeräte mit Touch-Bedienung gebaut sind, dann wird erst klar, welche neuen Szenarien es eigentlich gibt. Viele nutzen beispielsweise PowerPoint auf dem iPhone, um direkt damit zu präsentieren. Ich nutze häufig OneNote, um Ideen, Einkaufszettel und Reiseplanungen festzuhalten und zu teilen.
Unsere Strategie ist also: wir passen die Bedienung an mobile Formfaktoren an und eröffnen damit neue Einsatzmöglichkeiten. Statt 1-zu-1 Übersetzungen der klassischen Desktop Apps liegt unser Fokus daher auf nativen Apps – egal ob es für Windows, Android und iOS ist. Unsere Endkunden können damit Office mit relevanten Basisfunktionen auf jedem Endgerät und Betriebssystem nutzen. Den vollen Funktionsumfang und damit das allumfassende Office Erlebnis erfahren sie mit Office 365 im Abo.
Bei der Präsentation von Windows 10 spielten die touch-optimierten universal Office Apps natürlich eine große Rolle. Wer ein iPhone oder iPad besitzt, kann sich aber schon seit einigen Monaten über neue Word, Excel PowerPoint Apps freuen. Warum müssen ausgerechnet die User von Microsofts eigener Plattform so viel länger warten?
Unsere erste Priorität war, Office auf allen Plattformen möglichst schnell zur Verfügbar zu stellen.
Auf der Windows Plattform waren schon die vollen Desktop Apps verfügbar. Dann haben wir dafür gesorgt, dass Dokumente über verschiedene Geräte und für mehrere Nutzer so abrufbar sind, dass die Formatierung erhalten bleibt.
Eine große Lücke, die es für uns zu schließen galt, war auf der Android und iOS Plattform. Wir wollen es allen potentiellen Usern ermöglichen, Office auf den Geräten ihrer Wahl zu nutzen. Das ist jetzt geschehen. Und in der zweiten Welle veredeln wir die Funktionen, zuerst auf der eigenen Plattform und dann sicherlich auch auf den anderen. Am Ende mussten auch wir als Weltkonzern uns überlegen: wie priorisieren wir die Entwicklungsschritte? Auch wir sind da eher kapazitäts- als ideenbeschränkt.
Dürfen wir Dir also die These in den Mund legen „Mir ist egal auf welchem Betriebssystem die Kunden Office nutzen, Hauptsache sie nutzen Office“?
Hauptsache sie nutzen Office auf dem Betriebssystem, das sie haben, um vernetzt und ortsunabhängig im Job wie in der Familie zusammenzuarbeiten. Und wenn sie vor einer Wahl stehen, dann empfehle ich die Windows Plattform. Für mich ist Windows die beste Produktivitätsplattform.
Am Tag nach der Windows 10 Präsentation hat Microsoft auch eine neue „große“ Office-Suite angekündigt. Office 2016 soll in der zweiten Jahreshälfte kommen. Was für Innovationen dürfen wir uns von diesem Versionssprung erwarten?
Die Frage ist vielleicht eher: Was ist eigentlich die richtige Office-Suite? Früher, als das Office Paket noch auf Disketten ausgeliefert wurde, da waren das 7-8 Applikationen, die alle einen gemeinsamen Versionsstand hatten. Heute sind die Lizenzierung und welche Applikationen im Paket sind, sehr viel dynamischer geworden.
Das Office 365 Abonnement ist sehr umfangreich und kombiniert die beliebtesten Tools aus über 50 verschiedenen Applikationen und Web-Anwendungen. Plus – und das ist heutzutage fast das wichtigste – unbegrenzter Speicherplatz in OneDrive. Bei Office 365 ist der Versionsstand aber eher etwas Fluides. Man kauft nicht mehr eine Version, sondern nutzt immer die aktuellste Version. Und die mobilen Applikationen ergänzen Office auf dem Desktop und sind damit wichtiger Bestandteil für das Office Erlebnis. Man kann nicht mehr so denken wie früher, dass die mobilen Apps abgespeckte Versionen der Desktop Applikationen sind. Die mobilen Apps werden von Grund auf neu für die jeweilige Plattform entwickelt.
Was wir dabei irritierend finden, ist diese Dopplung von Desktop Programmen und Modern Apps. Man hat jetzt zwei Versionen von Word, OneNote, etc. und das teilweise auf ein und demselben Endgerät. Mit Windows 10 scheint das nicht unbedingt besser zu werden.
Wir denken hier vom Nutzer aus: was möchte ich jetzt gerade tun?
Wenn ich beispielsweise ein Dokument im Tablet Modus lesen und durchblättern möchte, nehme ich die Windows 10 App. Wenn ich einen umfangreichen Text erstellen will, dann ist das die Desktop App. Bei allem was dazwischen liegt, mache ich das eine oder das andere auf, denn die Dokumente und die Basisfunktionen sind eh die gleichen.
Was früher sicherlich ein Problem war, ist, dass manche Dinge in der einen Anwendung gingen und in der anderen nicht. In Zukunft soll man aber nicht mehr darüber nachdenken müssen, was geht jetzt in welcher App? Auf jeder Plattform und jedem Endgerät soll man die Funktionen, die man dort erwartet, auch vorfinden. Dann ist auch die Unterscheidung zwischen Desktop Apps und mobilen Apps kein Problem mehr.
Jetzt bleibt nur noch die Gretchen-Frage: Was wird es kosten? Microsoft hat angekündigt, dass die neuen Office Apps für Windows 10 auf Phones und kleinen Tablets vorinstalliert sein werden. Aber was ist mit anderen Geräten? Oder bestehenden Tablets? Sind die universal Apps dafür kostenpflichtig und müssen evtl. im Rahmen eines Office 365 Abos bezogen werden?
Office ist jetzt für jedes gängige mobile Betriebssystem – Windows Phone, iOS, Android – sowie für Windows und Mac verfügbar. Diese Apps ermöglichen kostenlos das Anzeigen sowie Bearbeiten von Office-Dokumenten für Privatanwender. Für die geschäftliche Nutzung ist ein Office 365 Abonnement für Unternehmen erforderlich. Die neuen Windows 10 Office Apps werden kostenlos auf Smartphones und kleinen Tablets vorinstalliert, sowie zum Download aus dem Windows Store zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus gibt es im Laufe des Jahres eine neue Version von Office für Mac sowie das neue Office 2016. Über die genaue Lizenzierung sind noch keine Details bekannt, allerdings haben Office 365 Kunden auch die neuen Versionen mit vollem Funktionsumfang auf jeden Fall im Rahmen Ihres Abonnements abgedeckt.
Thorsten, wir danken Dir für das Gespräch!
Das Interview führten Leonard Klint und Königsstein.
Foto: Thorsten Hübschen auf der Windows 10 Pressekonferenz in München. Courtesy of Microsoft, Deutschland.
Thorsten Hübschen auf Twitter: @ThorHuebschen