Ok, Windows Phone hat ein App-Problem. Ich weiß es. Du weißt es. Der Verkäufer beim Handyladen um die Ecke weiß es – und teilt es liebend gerne jedem Kunden mit, der reinkommt.
Dabei ist der Windows Phone Store mittlerweile sehr viel besser als sein Ruf. Doch der Rückstand zu iOS und Android ist immernoch beträchtlich. Und das betrifft leider nicht nur die Quantität der Apps, sondern auch deren Qualität und Aktualität. Heißt: auf Windows Phone fehlen noch immer viele Anwendungen und Spiele. Die, die da sind, werden teilweise nicht zuverlässig mit Updates versorgt. Und die Apps, die neu hinzukommen, kommen oft zu spät – nämlich dann, wenn der Hype schon vorbei ist.
Das Thema ist also nach wie vor höchst aktuell und wichtig. Und dennoch ist es stinklangweilig. Denn der Status Quo ist doch folgender: diejenigen, die jeden neuen App-Trend mitmachen müssen, machen völlig zu Recht einen Bogen um Windows Phone. Und diejenigen, die Windows Phone nutzen und mögen, haben sich mittlerweile damit abgefunden, dass sie nicht sofort alle neuen Apps und Features bekommen.
Das heißt natürlich nicht, dass WP-User sich nicht über den Ist-Zustand beschweren würden. Ganz im Gegenteil. Das Schimpfen über die Benachteiligung der Plattform gehört bei Windows Phone praktisch schon zur Fankultur. Der gelegentliche Frust ist absolut berechtigt. Doch schimpfen wir dabei auch auf die Richtigen?
Es ist doch so: in 95% der Fälle kennt die Unzufriedenheit des Windows Users nur einen Addressaten: Microsoft.
Wenn die Twitter App ewig kein Update erhält: „Warum kümmert sich Microsoft nicht darum!“ Wenn das Update der Facebook App uns mit unerwünschten Änderungen nervt: „Microsoft ist ja so dumm!“ (Und das selbst dann, wenn die Änderungen von Facebook ausgingen.)
Aus psychologischer Sicht ist eine solche Reaktionen absolut verständlich. Schließlich sucht man sich gerne einen Schuldigen, an dem man seinen Frust ablassen kann, und Microsoft ist in den Augen vielen Menschen noch immer der allmächtige Software-Gigant, der höchstens an seiner eigenen Dummheit scheiterten kann.
Ich denke allerdings, dass man damit gleich zwei Fehler begeht. Erstens überschätzt man Microsoft’s Einflussmöglichkeiten. Und zweitens missversteht man das Wesen eines App-Ökosystems.
Denn der Markt für mobile Apps wächst gerade deshalb so schnell und unberechenbar, weil er nicht wenn wenigen großen Playern gesteuert wird, sondern auf der Kreativität zigtausender unabhängiger Entwickler basiert. Ein App-Ökosystem entwickelt sich deshalb nicht wie ein Gebäudekomplex, nach den Plänen eines Architekten, sondern eher wie ein Ameisenhügel durch die „Schwarmintelligenz“: bottom up statt top down.
Google, Apple, Microsoft und Co. stellen die Entwicklerplattformen bereit und regulieren ihre jeweiligen App-Stores. Darüber hinaus ist ihr Einfluss auf unabhängige Developer aber sehr begrenzt.
Dass iOS heute mit Abstand das beste App-Ökosystem hat, ist somit auch nicht unmittelbar Apple’s Verdienst. Bekanntermaßen wollte der große Visionär Steve Jobs lange Zeit überhaupt keinen App-Store auf dem iPhone. Er hatte Angst, dass die dummen unabhängigen Developer das schöne Apple System versauen. Heute profitiert Apple vor allem von zwei Faktoren: sie waren die ersten mit einem (modernen) App-Store. Und sie haben das (stupid) money auf ihrer Seite: iPhone User haben offenbar Geld – mit einem Augenzwinkern könnte man auch sagen: sie haben offenbar zu viel Geld – und geben deshalb auch am meisten für Apps aus.
Auf der anderen Seite sind Microsoft’s Versäumnisse der letzten 10 Jahre natürlich der tieferliegende Grund für den schweren Stand den Windows Phone – trotz all seiner Qualitäten – immernoch hat. Die Redmonder haben dafür auch lange genug Prügel eingesteckt. Das bedeutet aber nicht, dass Microsoft für alle Zeiten der Hauptschuldige ist für jede fehlende oder vernachlässigte oder vermasselten Windows (Phone) App.
Natürlich ist die Schelte auf Microsoft oft genug berechtigt. Der „enemy first“ Vorwurf – also die Behauptung, dass Microsoft immer häufiger seine eigene Plattform benachteiligt – wiegt dabei besonders schwer, weil solche Schritte aus Redmond genau registriert werden und Signalwirkung haben.
Aber genauso wie Microsoft für Office, Skype, OneDrive, etc. verantwortlich ist, ist in erster Linie Twitter für die Twitter App verantwortlich, eBay für die (fehlende) Kleinanzeigen App und Instagram für die Peinlichkeit, dass ihre WP-App noch immer eine Beta ist.
Wenn wir uns darüber ärgern, dass man mit der Instagram App für Windows Phone keine Videos posten kann oder dass die Twitter App viel weniger Funktionen hat als auf dem iPhone, dann müsste wir eigentlich Twitter und Instagram verlassen und nicht Windows Phone (wie das Tom Warren kürzlich getan hat).
Wenn der Verbraucher schon mit den Füßen abstimmt, dann sollte er das auch an der richtigen Addresse tun. Wenn Watchever keine Windows Phone App hat, dann ist das für mich ein Argument gegen Watchever und nicht gegen Windows Phone. Holt euch eben Maxdome oder Netflix.
Ich weiß natürlich, dass mein Appell zumindest im Falle von Twitter und Instagram vollkommen illusorisch ist, weil bei den meisten Leuten die Bindung zum sozialen Netzwerk im Zweifel stärker ist als die Bindung zum Handy-Betriebssystem. Und vor allem, weil die Alternativen zu WP auf der Hand liegen, während die Alternativen zu Twitter und Instagram schwer zu finden sind. Aber genau darauf scheinen diese Unternehmen zu spekulieren. Und wenn wir jedes Mal reflexartig auf Microsoft schimpfen und uns darüber beklagen, wie armselig Windows Phone ist, dann lassen wir sie damit zu leicht durchkommen.
Geld allein ist keine Lösung
Ich höre immer wieder von Leuten, Microsoft müsse einfach mal richtig Geld in die Hand nehmen, um den App-Gap zu schließen. Doch auch wenn der Konzern das nicht gerne an die große Glocke hängt: genau das hat Microsoft lange Zeit getan. Die Strategie ist aber bestenfalls teilweise aufgegangen.
Wir wissen zum Beispiel aus zuverlässiger Quelle, dass Microsoft Deutschland einer ganzen Reihe von Unternehmen jeweils sechstellige Euro-Beträge für die Entwicklung einer Windows Phone App gezahlt hat. Kurzfristig ist es damit auch gelungen, relativ prominente Lücken im deutschen Store zu schließen. Mit der Zeit musste man aber feststellen, dass viele dieser Apps danach nicht regelmäßig upgedated wurden, sodass sie mittlerweile den Android und iOS Versionen deutlich hinterhinken. Aus dem App-Gap ist also an vielen Stellen ein Quality-Gap geworden.
Ein Insider berichtet uns frustriert, dass die finanziellen Anreize hier sogar einen negativen Effekt hatten. Denn anstatt ihre Windows App, nachdem sie schonmal draußen war, auch anständig zu pflegen, hätten sich viele Entwickler zurückgelehnt und auf weitere Gegenleistungen von Microsoft gewartet.
Natürlich kann man jetzt sagen: Microsoft war zu naiv und hätte diese Unternehmen gleich zu einem längerfristigen Engagement verpflichten müssen. Aber selbst wenn das praktisch und juristisch möglich gewesen wäre: sollten wir nicht zu allererst auf die jeweiligen Unternehmen schimpfen, die ihre Windows Phone Apps vergammeln lassen? Schließlich handelt es sich hier nicht um irgendwelche independent Studios, die auf Unterstützung angewiesen sind, sonder auf große Player, die ein gelegentliches Update für ihre App auch alleine bewältigen könnten.
Meistens fehlt es einfach am Willen, nicht am Geld. Und solange wir, die Windows Phone Community, unseren Ärger immer zuest auf Microsoft loslassen, spüren diese Unternehmen, die unsere Plattform vernachlässigen, auch keinen Druck etwas daran zu ändern.
DB Navigator – Von der Vorzeige-App zum Problemfall
Eine der prominentesten deutschen Windows App ist die DB Navigator App. Auf unsere Anfrage hin wollten weder Microsoft noch die Deutsche Bahn bestätigen, dass für die Entwicklung dieser App Geld geflossen ist. Wenn man allerdings bemerkt, dass der DB Navigator standardmäßig auf Lumia Geräten vorinstalliert ist, kann man sich denken, dass es irgendeinen Deal zwischen den beiden Konzernen gegeben haben muss.
Umso peinlicher für Microsoft, wenn jetzt in der stolz präsentierten Flaggschiff App die wichtige Handy-Ticket Funktion fehlt, die auf iOS und Android längst Standard ist. Nur, sollen wir jetzt wieder rumschreien, wie blöd Microsoft doch ist? Oder sollten wir uns lieber bei der Deutschen Bahn beschweren?
Wir haben uns für letzteres entschieden und folgende Antwort erhalten:
„Wir orientieren uns bei der Entwicklung unserer Apps sowohl an der Verbreitung im Markt als auch an der Nutzung durch unsere Kunden. Der DB Navigator für Windows Phone 8 bietet alle Kernfunktionen wie eine Reiseauskunft als auch einen Ticketkauf an und wird auch in Zukunft weiterentwickelt werden.“
So ein Bahnsprecher gegenüber WindowsUnited. „Wir orientieren und an der Verbreitung im Markt“ ist dabei natürlich ein höflicher Ausdruck für „Windows Phone benutzen eh nur wenige Leute“. Mit dieser Begründung könnte die Bahn aber auch auf Rollstuhlrampen verzichten.
DB Navigator App auf Windows Phone (oben) und iOS (unten):
Auch wenn Windows Phone nur einen Marktanteil von 5% hat, sind das immernoch hundertausende Bahn-Kunden, die von einem Update profitieren würden. Ist der Entwicklungsaufwand für die Bahn im Verhältnis dazu wirklich so hoch? Ist das für den milliardenschweren Staatskonzern so schwer zu stemmen? Oder haben die Programmierer etwa auch gestreikt?
Wir müssen auf die richtigen Schimpfen. Oder gar nicht.
Mir geht es hier natürlich nicht darum, die Deutsche Bahn (an Stelle von Microsoft) zum Buh-Mann zu machen. Mein Punkt ist vielmehr der: wenn wir, als Kunden und als Community, etwas bewirken wollen, dann müssen wir unseren Druck auch an der richtigen Stelle ausüben. Oft genug ist Redmond diese richtige Stelle, sehr oft aber auch nicht. Aber das reflexartige Schimpfen auf Microsoft ist kontraproduktiv, weil es den Druck von jenen Aktueren wegnimmt, die unsere Plattform – ich behaupte teilweise mit Kalkül – tatsächlich benachteiligen.
Manchmal müssen wir aber auch einfach aufhören nach einem Schuldigen zu suchen und uns damit abfinden, dass es gewisse ökonomische Realitäten gibt, die niemand (auch nicht Microsoft) ignorieren kann. Die überwiegende Mehrheit der Entwickler ist weder für noch gegen Windows Phone. Sie gehen einfach dahin, wo man das meiste Geld verdienen oder das größte Publikum finden kann.
Windows Phone wird auf absehbare Zeit die dritte Kraft in der mobilen Welt bleiben, soviel ist klar. Für mich ist das auch vollkommen in Ordnung. Mir gefällt die Plattform und ich nehme dafür gerne in Kauf, dass der ein oder andere Spiele-Trend an mir vorbei geht und ich manchmal etwas länger auf ein Update warten muss. Ich möchte nur, dass meine Plattform ernst genommen und fair behandelt wird. Wenn nicht, dann fange auch ich an zu Schimpfen.
Eigentlich wollte ich mir ja ein 1520 zulegen nachdem ich nun für ein paar Tage ein 1320 zum ausprobieren zu Hause hatte. Wenn ich aber nun hier bestätigt sehe was ich schon insgeheim befürchtet hatte, nämlich das einige wichtige WP Apps nicht so ausgereift sind bekomme ich doch Zweifel ob ein Win Phone das richtige ist……. Vor einem Jahr hatte ich ein Ativ S , welches ich aber wegen diverser kleiner (aber sehr nervigen!) Bugs wieder verkaufen mußte. Auch die Apps waren damals ein Grund das Gerät wieder an die Sonne zu setzen. Du schreibst das nicht MS die richtige… Weiterlesen »
@Mikesh Apple hat sogar noch striktere Vorgaben als MS, daran kann es also nicht liegen. Das Problem ist eher die Lernresistenz (die schon fast ignoranten Züge annimt) von den Leuten die gerade eine der Besten und korrektesten Argumentation gelesen haben und trotzdem danach fragen ob der Fehler nicht bei MS liegt. Sogar der Bspl. mit der DB sollte doch ein Wink sein um zu begreifen das es die Entwickler sind die die Schuld tragen. Ich für meinen Teil handhabe es so dass apps wie Snapchat, Instagram etc., die ich auch auf meinen Android Tab nutze, im playstore eine tiefe Bewertung… Weiterlesen »
Toller Artikel, bei dem, wie ich finde, eines nicht unerwähnt gelassen werden darf: Auch die Programmierer sind gar nicht mal so unhappy, dass MS derzeit betteln muss. Sie wollen nur eines, Geld verdienen – da mit ethischen Ansprüchen zu kommen, wäre sicherlich falsch. Leider ist es aber so, wie Tom Warren gesagt hat: eine App entscheidet über den Kauf
Ach ja, und die Jugend, die größter Konsument sind, finden WP einfach nicht cool. Thats all
Danke für diesen wirklich sehr gut geschriebenen Artikel!
Ich bin mit dem L 1520 voll zufrieden mit den gebotenen Apps und vermisse eigentlich bisher nichts wesentliches.
Allerdings bin ich aufgrund meines Alters vermutlich nicht mehr der gängige/ umworbene Durchnitts-User für den Smartphonemarkt. 😉
Nette Grüße aus Österreich
jofi